Jane Campion gegen Steven Spielberg. So hieß es bei
den „Oscar“-Nominierungen 1994, als die neuseeländische Regisseurin nach dem
Gewinn der „Goldenen Palme“ von Cannes mit ihrem Historiendrama „Das Piano“
gegen den US-Erfolgsregisseur antrat, der nur wenige Monate nach seinem
Mega-Kassenschlager „Jurassic Park“ seine bis dahin wohl ernsteste Arbeit in
die Kinos gebracht hatte: „Schindlers Liste“. 28 Jahre später stehen Campion
und Spielberg erneut auf der Nominierungsliste für die „Oscars“, die am 8.
Februar 2022 bekannt gegeben wurde. Die Favoritenrolle liegt allerdings anders als
damals. Wo Spielbergs Herzensprojekt damals mit 13 Nominierungen und letztlich
7 Auszeichnungen haushoch dominierte, spricht alles dafür, dass Jane Campion
diesmal die Nase vorn haben dürfte. Ihr Cowboy-Drama „The Power of the Dog“ geht mit zwölf Nominierungen ins Rennen, Spielbergs „West Side Story“-Neuverfilmung brachte es auf sieben. Damit holte der
Altmeister genauso viele Nennungen wie Kenneth Branaghs filmische
Jugenderinnerungen in „Belfast“ und drei weniger als Denis
Villeneuve für sein Science-Fiction-Epos „Dune“, die beide ebenfalls
Chancen auf den wichtigsten amerikanischen Filmpreis haben.
Dominanz der
Streamingdienste ist nicht mehr so groß wie im Vorjahr
Für die Kategorien der 94.
„Oscars“ hatten 276 Filme die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllt, eine
vergleichsweise kleine Zahl, die sich durch die Folgen der Corona-Pandemie,
aber auch durch das verkürzte Auswertungsfenster 2021 erklärt: Januar und
Februar waren noch dem vorherigen Jahrgang zugeschlagen worden, die US-Kinos
öffneten erst im Laufe des Frühjahrs und konnten lange nur eingeschränkt
Zuschauer empfangen. Hinzu kamen die absehbaren Komplikationen bei Filmdrehs.
Dennoch nimmt sich die Liste der Nominierten kaum anders aus als in normalen Jahrgängen
und grenzt sich auch klar vom Vorjahr ab, als die Streamingdienste ihren Lockdown-bedingten
Ausspielungsvorteil nutzen konnten und große Blockbuster mangels Kinoauswertung
fast völlig außen vor blieben.
Unter den zehn Nominierten für den „Besten Film“
finden sich deshalb zwar der von Netflix vermarktete „The Power of the Dog“ und mit Adam McKays Katastrophenfilm-Satire „Don’t Look Up“
auch eine weitere Eigenproduktion, außerdem schaffte es der Streaming-Konkurrent Apple
TV+ mit dem Sundance-Gewinner „CODA“ – dem US-Remake des
französischen Komödienerfolgs „Verstehen Sie die Béliers?“ – erstmals in die
Auswahl. Daneben finden sich aber auch Studioproduktionen alter
„Oscar“-Favoriten: Neben „West Side Story“ treten sowohl Paul Thomas Anderson
mit „Licorice Pizza“ als auch Guillermo del Toro mit „Nightmare Alley“ erneut in der Königsdisziplin an, außerdem wurde neben „Belfast“
und „Dune“ die Filmbiografie „King Richard“ über den Vater der
Tennisschwestern Venus und Serena Williams nominiert. Als zehnter Kandidat
schaffte es auch das japanische Drama „Drive My Car“ in die
Auswahl, was nach den Auszeichnungen u.a. der Kritiker von Los Angeles und New
York allerdings keine ganz große Überraschung mehr war.
Übersehene Highlights
bleiben auch bei den „Oscars“ außen vor
Überhaupt hielten sich die
Juroren der „Oscars“ mit unerwarteten Entscheidungen bei den Nominierungen
einmal mehr zurück. So muss einen das gänzliche Fehlen von gefeierten
Independent-Filmen wie „Mass“, „The Humans“ oder „Shiva Baby“ ebenso wenig wundern wie die Nichtberücksichtigung von David
Lowerys unkonventionellem Zugriff aufs Rittergenre in „The Green Knight“
und der originellen Filmmusicals „In the Heights“, „Dear Evan Hansen“ oder „Annette“. Diese waren allesamt schon
in der gesamten „Awards Season“ kaum berücksichtigt worden, woran sich die
„Oscars“ nun nahtlos anschließen. Einmal mehr zeigt sich an der
Nominierungsauswahl, dass die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and
Sciences eher reagieren als eigene Akzente setzen – der späte Termin kann dabei
nicht als einziger Grund herhalten.
Keine sonderliche Popularität
genießen unter den Academy-Juroren nach wie vor die großen Kino-Blockbuster,
nimmt man „Dune“ einmal aus, der durch den Zugriff des der Filmkunst
entstammenden Kanadiers Villeneuve eine Stellung zwischen Arthouse und Mainstream
beanspruchen darf. Daniel Craigs James-Bond-Abschluss in „Keine Zeit zu sterben“, der nach den Corona-Schließungen über Monate bewies, dass die
Zuschauer dem Kino keineswegs dauerhaft fernbleiben wollten, ist immerhin
dreimal (für den Titelsong, den Ton und die Spezialeffekte) benannt, die
Superhelden-Abteilung muss sich mit zwei Nennungen in der
Spezialeffekte-Kategorie für „Spider-Man: No Way Home“ und „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ zufriedengeben. Und auch in der
Animationsfilm-Kategorie ist neben drei hauptsächlich via Streaming
ausgewerteten Filmen („Luca“, „Die Mitchells gegen die Maschinen“ und „Raya und der letzte Drache“) und der
skandinavischen Flüchtlingsdoku „Flee“ mit „Encanto“ nur ein
veritabler Kino-Erfolg dabei.
Dafür zeigt die Academy
weiterhin Interesse daran, auch nicht-englischsprachige Filme in wichtigen
Kategorien zu berücksichtigen. „Drive My Car“ konnte so neben den
Nominierungen als „Bester Film“ und „Bester Internationaler Film“ auch Nennungen
für Regisseur Ryusuke Hamaguchi und das adaptierte Drehbuch
einstreichen, in der Originaldrehbuch-Kategorie tritt zudem der norwegische
Film „Der schlimmste Mensch der Welt“ an, der es ebenfalls in die
„Auslands-Oscar“-Auswahl schaffte, wo beide Filme mit „Flee“ (Dänemark), „Lunana“
(Nepal) und „The Hand of God“ (Italien) konkurrieren. Maria
Schraders Science-Fiction-Romanze „Ich bin dein Mensch“ verpasste
dagegen die Nominierung. Pedro Almodóvars „Parallele Mütter“, von
Spanien nicht als Kandidat eingereicht, konnte sich mit Nominierungen für
Hauptdarstellerin Penélope Cruz und die Musik trösten.
Wenig Newcomer, viele
Stars
In die Regie-Kategorie schafften
es neben Hamaguchi und der Favoritin Jane Campion auch Paul Thomas Anderson, Kenneth Branagh und Steven Spielberg, während Denis Villeneuve in diesem Fall den
Kürzeren zog. Überraschungen bei den Darstellern gab es allenfalls in den
Nebendarsteller-Auswahlen, wo die (insgesamt achte) Nominierung für Judi Dench für „Belfast“, anstelle der von den meisten anderen Verleihungen
favorisierten Caitríona Balfe, noch am ehesten als eine Art
Paukenschlag interpretiert werden kann. Neben Dench messen sich mit Jessie Buckley („Die Frau im Dunkeln“), Ariana DeBose („West
Side Story“), Kirsten Dunst („The Power of the Dog“) und Aunjanue Ellis („King Richard“) vier Debütantinnen in dieser Kategorie, ähnlich
sieht es bei den Nebendarstellern aus, wo neben dem früheren Gewinner J.K. Simmons der stets zuverlässige irische Charakterdarsteller Ciarán Hinds für „Belfast“, das „Power of the Dog“-Duo Jesse Plemons
und Kodi Smit-McPhee sowie der gehörlose Schauspieler Troy Kotsur für „CODA“ allesamt zum ersten Mal nominiert sind. Bei den
Hauptdarstellern sind es hingegen überwiegend vertraute Namen, die ins Rennen gehen. Jessica Chastain, Olivia Colman, Penélope Cruz und Nicole Kidman sowie erstmals Kristen Stewart treten bei den Damen an, Javier Bardem, Benedict Cumberbatch, Andrew Garfield, Will Smith
und zum 9. Mal Denzel Washington bei den Herren. Damit ist für
ein Staraufgebot durchaus gesorgt, wenn die „Oscar“-Gala am 27. März ins Dolby
Theatre zurückkehrt – und nach der Notbetrieb-Verleihung 2021 wieder stilvoll
glamourös über die Bühne gehen soll.