© Roger Fritz / courtesy Schirmer/Mosel (Alain Delon, Luchino Visconti, Romy Schneider. Paris 1961)

Fassbinders Set und Udo Jürgens’ Badewanne - Der Bildband „Boulevard der Eitelkeiten“

Der anekdotenreiche Bildband „Boulevard der Eitelkeiten“ des Fotografen und zeitweiligen Regisseurs Roger Fritz

Veröffentlicht am
04. Mai 2022
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In dem Bildband „Boulevard der Eitelkeiten“ schaut der 2021 verstorbene Fotograf Roger Fritz anekdotenreich und trophäenbewusst auf das Treiben der von ihm über sieben Jahrzehnte hinweg porträtierten Promi-Welt zurück. Auch sein Flirt mit dem Filmgeschäft, der ihn zeitweise zum Schauspieler und Regisseur machte, findet in dem Buch viel Raum.


Fotografieren war nur ein Beruf von vielen. Roger Fritz (1936-2021) führte auch Regie, schauspielerte, produzierte und versuchte sich als Gastronom, aber eigentlich war er vor allem Connaisseur der Orte, an denen sich der Jetset zu treffen pflegte, das Schwabinger Biotop der 1960er-Jahre, das Rom des Dolce Vita, die Salzburger Festspiele, Ibiza oder der libertär-mediterrane Kosmos von Saint-Tropez und Cannes.

Boulevard der Eitelkeiten, die üppige, wenn auch kleinformatige Sammlung von 235 Porträtfotografien und 80 Erinnerungstexten, beginnt jedoch in der spießigen Adenauer-Ära mit dem schillernden Fotografen Herbert List, der Roger Fritz Anfang der 1950er-Jahre an einer Autobahnauffahrt Richtung München mitgenommen und ihm einen Job in seinem Labor angeboten hatte. Dann geht es zur Kölner Photokina von 1954 und der von der vergessenen Fotografin Christa Peters neu gegründeten Zeitschrift „Twen“. Anschließend eine Reise mit List nach Tanger zu Jane und Paul Bowles, die ihm in einer Marmelade Drogen beimischten, und zum ehemaligen Reichsbankpräsidenten und Nazi Hjalmar Schacht.

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Unfassbar breites Spektrum von Menschen

Schon diese Mischung der Anfangsjahre lässt keinen Zweifel daran, dass Fritz, geboren in Mannheim-Käfertal als Sohn eines Hoteliers, dank seiner Arbeit für illustrierte Magazine wie „Quick“, „Stern“, „Twen“, „Vogue“ und „Bunte“ einem unfassbar breiten Spektrum an Menschen begegnen durfte, die zumindest zu Beginn seiner Karriere auf der internationalen Bühne unterwegs waren, allen voran Luchino Visconti, der 1961 in Paris Romy Schneider und Alain Delon gemeinsam in einem Theaterstück auftreten ließ. Der Italiener bot Fritz für seine nächste Oper die Stelle seines deutschsprachigen Assistenten an, im Anschluss übernahm er eine kleine Rolle in Boccaccio 70. Reportagen über die Beatles und die Stones, Ufa-Nachwuchsschauspielschule mit Götz George und Ulli Lommel im Jahrgang, temporärer Wechsel mit Mädchen, Mädchen zum Regiefach und die exzessiven Siebziger konnten kommen.

Roger Fritz courtesy Schirmer/Mosel (Roger Fritz, fotografiert von Herbert List. Spoleto 1971)
Roger Fritz, fotografiert von Herbert List. Spoleto 1971 (© Roger Fritz courtesy Schirmer/Mosel)

Über Helmut Berger, mit dem er in München und Italien manch eine Eskapade mitgemacht hatte, schreibt Fritz: „Irgendwie waren wir befreundet und trotzdem Konkurrenten. Ob Helmut mich mit dem Folgenden meint: „…den Freund von Visconti habe ich ganz schnell aus dem Haus in Rom, Via Salaria, entfernt. Aber wie nichts raus aus dem Haus! Er fuhr dann meinen Maserati.“ Fritz genießt es sichtlich, Anekdoten wie diese zum Besten zu geben, den Text über Mario Adorf richtet er direkt an den Schauspieler und stellt fest: „Ich freue mich jedes Mal, Dich zu sehen.“ Er lobt das Essen bei Jeanne Moreau in ihrer Villa in der Provence und vergleicht sich mit ihrem Liebhaber Peter Handke. Jede Begegnung gerät zur Trophäe der eigenen Eitelkeit, wenn sich Fritz etwa geehrt fühlt, dass ein Gerhard Richter eine seiner Fotografien für „Quick“ nachgemalt hat, sich dann aber darüber aufregt, dass er an den steigenden Verkaufspreisen des Bildes nicht mitverdienen konnte. Selbstverständlich war der Vielgereiste auch in Warhols „Factory“ zu Gast, fotografierte ihn am Set von Fassbinders Querelle und spielte selbst in Berlin Alexanderplatz mit.


Er wechselte die Milieus wie Handschuhe

In den 1980er-Jahren mischte er sich staatstragend unter Politiker wie Richard von Weizsäcker, den jungen Gerhard Schröder oder Helmut Kohl und wechselte auch in den nachfolgenden Jahrzehnten die Milieus wie Handschuhe. Ob Klassik-Größen, Polo-Profis, Wirtschaft-Alphatiere oder Schlagerstars wie Heino, Vicky Leandros und Udo Jürgens, den Fritz in der Badewanne ablichtete, Berührungsängste bis in die C-Prominenz schien der Schwarm von Frauen und Männern immer weniger zu kennen, so wie die Qualität seiner zu Beginn noch kunstvoll ausgeleuchteten Schwarz-weiß-Fotografien im Farbfach zunehmend nachließ und das Promi-Personal immer deutscher geriet.

Udo Jürgens. Zürich 1979 (© Roger Fritz courtesy Schirmer/Mosel)
Udo Jürgens. Zürich 1979 (© Roger Fritz courtesy Schirmer/Mosel)

Was bleibt, ist ein hedonistisches Gesellschaftspanorama der Schönen und Erfolgreichen, in dem in den 2010er-Jahren nicht nur Platz für einen Karl Lagerfeld war, sondern auch für einen Backwarenfabrikanten wie Hermann Bahlsen, der trotz der Nazi-Vergangenheit des Unternehmens zum Sujet einer wohlwollenden Story taugte – wie hätte Fritz auch sonst bis zum Schluss auf dem Sprung und dabei stets Teil des Phänomens Boulevard bleiben können?


Hinweis:

Roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten. Fotografien und Erinnerungen. Schirmer/Mosel Verlag, München 2022. 320 Seiten, zahlr. Abb., 34,00 EUR. Bezug: in jeder Buchhandlung.

Schirmer/Mosel Verlag
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