© IMAGO / Pond5 Images (G.W. Pabst in Wien 1950. Charles Steinheimer/The LIFE Picture Collection)

Ein seltsamer Beruf - Georg Wilhelm Pabst

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat mit „Lichtspiel“ einen grandiosen Roman über den österreichischen Filmregisseur G.W. Pabst geschrieben

Veröffentlicht am
27. Dezember 2023
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Der österreichische Regisseur Georg Wilhelm Pabst, 1885 in Böhmen geboren und 1967 in Wien verstorben, gehörte zu den prägenden Filmemachern der Weimarer Republik. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann widmet ihm mit dem Roman „Lichtspiel“ eine vielschichtig-schillernde Biografie, die Filmgeschichte lebendig werden lässt und nicht zuletzt auch um Pabsts Verhältnis zu Nazi-Deutschland kreist.


Neben Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau prägte der österreichische Filmregisseur G.W. Pabst das Kino der Weimarer Republik. Berühmt wurde Pabst dabei nicht durch expressionistische Filme; sein Kino war vielmehr eines des sozialen Realismus. Werke wie „Die Büchse der Pandora“, „Tagebuch einer Verlorenen“ oder „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ prägten sein Schaffen. Dabei arbeitete Pabst mit den ganz großen Darstellerinnen und Darstellern der Stummfilmzeit zusammen. Einer der Höhepunkte seiner Laufbahn war „Die freudlose Gasse“ mit Greta Garbo und Asta Nielsen; bis heute zählt der Film zu den Hauptwerken der Neuen Sachlichkeit im Kino. Louise Brooks verkörperte in „Die Büchse der Pandora“ und in „„Tagebuch einer Verlorenen“ die faszinierende Leinwandheldin schlechthin. Die Anziehungskraft ihrer Darbietungen wirkt auch heute noch unvermittelt weiter.


Loops, Doppelbelichtungen & Überblenden

Brooks ist eine der Figuren, die der Schriftsteller Daniel Kehlmann für seinen neuen Roman „Lichtspiel“ über das Leben des Regisseurs G.W. Pabst in Stellung bringt, um entlang sich überkreuzender Lebenslinien das Schicksal von Pabst und seiner Familie ins Auge zu fassen. Die Lebensgeschichte des Regisseurs, der zu Stummfilmzeiten reüssierte, in der Ära des Tonfilms aber mit seinem Handwerk haderte, ist beispiellos. Man wundert sich, dass sich ihr bis jetzt noch niemand in derselben Ausführlichkeit und Anschaulichkeit wie Kehlmann gewidmet hat.


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Kehlmann unternimmt dies mit einem Instrumentarium, das durchaus ans Filmhandwerk erinnert. Loops, Doppelbelichtungen und Überblenden gehören zu seinem Handwerkszeug. Er entfaltet Pabsts Vita als Erzählung rund um die Passion fürs Kino, um Emigration und Re-Immigration sowie als doppelbödige Erzählung des moralischen Versagens.

Die freudlose Gasse (© IMAGO / KHARBINE-TAPABOR)
"Die freudlose Gasse" (© IMAGO / KHARBINE-TAPABOR)

Ein Faible für historische Stoffe hat Kehlmann schon mit seinen Romanen „Die Vermessung der Welt“ und „Tyll“ bewiesen. Nun zeigt der Schriftsteller sein erzählerisches Können anhand der deutschen Filmgeschichte, wobei er sich an den realen Lebensdaten von G.W. Pabst orientiert, aber auch einige entscheidende Fiktionalisierungen einbaut.


Von der Weimarer Republik nach Hollywood

„Regisseur war, alles in allem, ein seltsamer Beruf. Man war ein Künstler, aber man schuf nichts, sondern man dirigierte die, die etwas schufen, man arrangierte die Arbeit anderer, die bei Licht betrachtet mehr konnten, als man selbst.“ So lässt es Kehlmann G.W. Pabst an einer Stelle des Romans sagen. Soeben hat Pabst die Premiere von „Metropolis“ des Regiekollegen Fritz Lang besucht, von dem Pabst anerkennt, es sei der beste Film, der je gedreht wurde. „Ich weiß“, antwortet darauf Lang mit dem ihm eigenen Selbstvertrauen.

Anfang der 1930er-Jahre versuchte Pabst, in Hollywood Fuß zu fassen. Trotz seines guten Rufs war er dort nur einer unter vielen. Als deutschsprachiger Regisseur wurde er zudem ständig mit Fritz Lang verwechselt, was im Buch für einige hübsche Pointen sorgt, für Pabst jedoch im sonnengefluteten Hollywood eine fortgesetzte Demütigung darstellte, die bald schmerzliche Sehnsucht nach seiner alten, vom Jahreszeitenwechsel geprägten Heimat weckte.

Pabst gelang es, den Film „A Modern Hero“ zu realisieren, doch er konnte an dessen knappen Erfolg nicht anknüpfen. Nach fortgesetztem Missgeschick in der Traumfabrik tritt Pabst schließlich die Heimreise zurück nach Europa an. Zunächst landet er gemeinsam mit seiner Frau Trude – sie wird später als Drehbuchautorin bei seinen Produktionen wirken – und seinem Sohn Jakob in Frankreich. In Österreich wird die Familie dann vom Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht.

Louise Brooks und Georg Wilhelm Pabst bewerben „Die Büchse der Pandora“ (© IMAGO / United Archives)
Louise Brooks und Georg Wilhelm Pabst bewerben „Die Büchse der Pandora“ (© IMAGO / United Archives)

Eine schicksalsschwere Begegnung

Die Pabsts lassen sich auf dem Land nieder. Ehefrau Trude nimmt bald an einem Lesezirkel teil, in dem ausschließlich die Werke des NS-Schriftstellers Alfred Karrasch gelesen werden. Sohn Jakob wird Mitglied der Hitlerjugend; unter dem Einfluss der NS-Doktrin fiebert er dem Kriegseinsatz entgegen. Pabst nimmt sich zunächst vor, im nationalsozialistischen Deutschland keine Filme zu drehen. Doch dann kommt es zu einer schicksalsschweren Begegnung mit dem Reichspropagandaminister (im Buch bleibt Goebbels namentlich ungenannt). Den Einwand Pabsts, keine Filme mehr drehen zu wollen, weist der brüsk ab und diktiert: „Sie sind heim ins Reich gekommen. Sie wollen Filme machen. Keine politischen, sondern idealische Filme. Künstlerische Filme. Hehre Filme. Filme, die guten, tiefen, metaphysischen Menschen ans deutsche Herz gehen. Tiefe Filme für tiefe Menschen!“ Dem Ansinnen des Propagandaministeriums kann sich der ehemals als „roter Pabst“ Verschriene nicht erwehren und macht sich an die Verfilmung eines Karrasch-Romans.

Der Fall Molander“ wird in Kehlmanns Roman zum zentralen Filmprojekt und zum Höhepunkt der Erzählung. Pabst arbeitet wie besessen an dem Film. Wie weit er während der Dreharbeiten zu gehen bereit war, zeigt sich im letzten Drittel des Romans mitunter auf erschreckende Weise. Als ultimatives Werk sollte der Film am Schneidetisch den letzten, genialen Schliff erfahren. Dazu kommt es jedoch nicht mehr. In den Kriegswirren der Jahre 1944/45 gehen die Filmrollen verloren. Der Film mit dem Schauspieler Paul Wegener in der Hauptrolle gilt bis heute als unvollendet und verschollen.


Mitläufertum und Mitschuld

Kehlmann stellt die Frage nach Mitläufertum und Mitschuld ins moralische wie erzählerische Zentrum seines Romans. Wann und wo beginnt sie? Hätte G.W. Pabst nicht eine ethische Verpflichtung gehabt, im Exil in den USA zu verbleiben? Allein schon seines Sohnes wegen, der von einem US-amerikanischen Schulbuben zu einem glühenden Anhänger der Hitlerjugend wird? Es ist Kehlmanns großer literarischer Erzählkunst zu verdanken, dass Künstlerporträt und historischer Roman sich zu einem glänzenden Stück Prosa verbinden, für das sich nicht nur Filmfans begeistern.


Literaturhinweis

Lichtspiel. Von Daniel Kehlmann. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023. 480 Seiten. 26 Euro. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

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