© imago/eventpress (Adele Neuhauser)

Feier mit Fragezeichen

Bei der Gala zum 74. Deutschen Filmpreis lief nicht alles rund. Die breite Streuung der Preise, eindringliche Dankesreden und Botschaften gegen Hass und Hetze setzten dennoch Glanzpunkte

Veröffentlicht am
17. Mai 2024
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Bei der Gala zum 74. Deutschen Filmpreis lief nicht alles rund. Das siebenköpfige Moderatorenteam stolperte durch den Abend, und auch die nominierten Filme versprühten wenig Glamour. Die breite Streuung der Preise, einige eindringliche Dankesreden und Botschaften gegen Hass und Hetze setzten wenigstens einige Glanzpunkte. Die unsichere Lage des deutschen Films konnte der Abend allerdings nicht auflösen.


So sah das Traumziel der deutschen Kinozuschauer im Jahr 2023 aus: Ein Schloss in Transsilvanien, herabgesunken von seinem früheren Glanz, aber noch immer eine stilvolle Filmkulisse. Standesgemäß wird es von merkwürdigen Vorkommnissen heimgesucht, die Vampire oder Geister zumindest denkbar machen. Doch drei jugendliche Spürnasen lösen die Rätsel und werden einmal mehr ihrem Ruf gerecht, der ihnen seit dem ersten „Die drei ???“-Buch von 1965 und der daran anschließenden Hörspielreihe vorauseilt.

Der Kult um die Jungdetektive ist in Deutschland seit mehreren Generationen etabliert, weshalb der Erfolg des Kinofilms „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ nicht vom Himmel fiel. Umso mehr, als der Film von Tim Dünschede eifrig bemüht ist, neben dem jungen Zielpublikum auch nostalgisch veranlagte Eltern anzusprechen. Immerhin lockte „Das Erbe der Drachen“ rund 1,6 Millionen Zuschauer in die Kinos und war damit 2023 der erfolgreichste deutsche Film. Damit heimste er den Lohn ein, mit dem der größte nationale Kassenhit jedes Jahr bedacht wird. Bei der 74. Verleihung des Deutschen Filmpreises am 4. Mai 2024 nahm das Team des „Drei ???“-Films die „Lola“ für den besucherstärksten Film entgegen, wobei es munter ignorierte, dass der glatte Jugendfilm mit dem Rest der an diesem Abend im Rahmenlicht stehenden Werke nicht sonderlich harmonierte.


Sieben Moderatoren waren zu viel

In einer Hinsicht aber passte diese Auszeichnung doch ganz gut: Mindestens drei Fragezeichen muss man hinter den Rest des Abends im Theater am Potsdamer Platz setzen. Mit der Idee, die Preisverleihung 2024 mit sieben (!) Moderatoren aufzuziehen, hatten die Organisatoren sich auf ein Experiment eingelassen, das in der Umsetzung krachend scheiterte. Weder Jasna Fritzi Bauer, Margarita Broich, Gizem Emre, Ivy Quainoo und Jürgen Vogel noch die Fernsehmoderatoren Tobi Krell und Aurel Mertz erwiesen sich als begnadete Präsentatoren für eine Filmpreisverleihung. Die meiste Zeit standen sie sich gegenseitig auf den Füßen oder setzten in einer Bar bei der Bühne zu ungelenken Überleitungen in die jeweils nächste Kategorie an.

Margot Friedländer, Wim Wenders (imago/Eventpress)
Margot Friedländer (M.), Wim Wenders (© imago/Eventpress)

Der Eindruck eines wenig kreativen Chaos wurde verstärkt, weil die Auszeichnungen mal durchaus mit Überlegung und gründlicher Vorbereitung in Szene gesetzt waren, andere dagegen völlig überstürzt und lieblos präsentiert wurden. So platzte noch vor der Begrüßung der Ehrengäste die erste Auszeichnung ins Programm; der als Hauptdarsteller für das ungewöhnliche Weltkriegsdrama „Der Fuchs“ ausgezeichnete Österreicher Simon Morzé wirkte dann auch eher überrumpelt.

Dem standen aber auch galawürdige Momente gegenüber. Traditionelle Laudationes, in denen Gäste wie Sandra Hüller und Ilker Çatak mit Emphase ihre Kolleginnen und Kollegen hochleben ließen. Oder durchdachte Beiträge zu Gewerken wie den Visuellen Effekten und den nominierten Einzelleistungen (hier war ein Erklärspezialist wie Tobi Krell für einmal wirklich in seinem Element). Dass Filmakademie-Präsident Florian Gallenberger am Ende von einer „diversen und gemischten Moderation“ sprach, war unbeabsichtigt mehrdeutig.


Margot Friedländer & Hanna Schygulla

Für die verkrampfte Atmosphäre der Gala war es daher ein Segen, dass die Organisatoren nicht nur eine Feier der Filme ins Auge gefasst hatten. Die Veranstaltung sollte erklärtermaßen an die Massenproteste gegen Rassismus zu Beginn des Jahres anschließen. Und auch gegen den seit dem letzten Herbst überschäumenden Antisemitismus sollte ein eindeutiges Gegengewicht durch die Filmbranche gesetzt werden. Die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hatte den erhofft denkwürdigen Auftritt mit ihrem eindringlichen Appell für Menschlichkeit und gegen Judenhass. Sie nahm die Filmemacher in die Pflicht, ihre Kraft als Geschichtenerzähler für diese Ziele einzusetzen. Hanna Schygulla sprang ihr als diesjährige „Lola“-Ehrenpreisträgerin bei, indem sie ihre eigene Kindheit als Flüchtlingskind und ihr Unverständnis über die Wiederkehr des Nazi-Gedankenguts ansprach.

Und auch von den Moderatoren kam die unerwartet nachdrückliche Aufforderung, bei den anstehenden Europa- und Landtagswahlen wählen zu gehen und das Feld nicht Rassisten und Demokratiefeinden zu überlassen. Das führte im Saal zu viel Zuspruch und Standing Ovations.

Neben den politischen Elementen des Abends ging es natürlich auch um Filme, auch wenn die prämierten Werke eher eine Nebenrolle einnahmen. Der deutsche Filmjahrgang 2023 hatte sich ohnehin nicht als sonderlich herausragend präsentiert, was schon die Bekanntgabe der Nominierungen angezeigt hatte. Auch wenn sich mit dem Science-Fiction-Thriller „Die Theorie von Allem“, dem deutsch-kurdischen Mystery-Drama „Im toten Winkel“, der sensiblen Integrationsgeschichte „Elaha“ und den deutsch-österreichischen Co-Produktionen „Der Fuchs“ und „Ein ganzes Leben“ vielschichtige, einfallsreich inszenierte Filme unter den Kandidaten für die „Lolas“ fanden, hatten sie im regulären Kinobetrieb allesamt keinen großen Zuspruch gefunden. Die fünf Werke erreichten zusammen insgesamt weniger als 400.000 Zuschauer.

Sandra Hüller, Corinna Harfouch (imago/Eventpress)
Sandra Hüller, Corinna Harfouch (© imago/Eventpress)

Auch das Familien- und Künstlerdrama „Sterben“ als sechster Kandidat für den „besten Film“, der erst eine Woche vor dem „Deutschen Filmpreis“ in den Kinos gestartet war, kann die Hoffnungen der Kinobetreiber bislang nur in Ansätzen erfüllen. Von einer Breitenwirkung des Kinos zu sprechen, wie es bei der „Lola“-Verleihung des Öfteren in den Dankesreden geschah, hatte einen durchaus bitteren Beigeschmack.


Spannung bis zur finalen Kategorie

Die Akademie verfolgte offensichtlich die Absicht, dieses Bekanntheitsdefizit der Filme mit einer Streuung der Preise auszugleichen. So gingen zwei Auszeichnungen an Simon Verhoevens knallbuntes „Milli Vanilli“-Porträt „Girl You Know It’s True“. Für den Ton wurde der Tauchthriller „The Dive“ geehrt; drei Preise für Kamera, Szenenbild und Visuelle Effekte gewann „Die Theorie von Allem“. „Sieben Winter in Teheran“ über die letzten Jahre einer zum Tode verurteilten jungen Iranerin triumphierte nicht nur als „Bester Dokumentarfilm“, sondern gewann auch den Preis für den besten Schnitt.

Die politischen Aussagen des Films gegen die Todesstrafe im Iran nahm die Filmpreis-Gala ebenso dankbar auf wie die von Ayşe Polat, die für „Im toten Winkel“, in dem sie die Verfolgung der Kurden in der Türkei aufgreift, als Drehbuchautorin und Regisseurin ausgezeichnet wurde. Weniger gesellschaftlich-politisch mahnend als persönlich berührt zeigten sich Nebendarstellerin Adele Neuhauser („15 Jahre“) sowie Corinna Harfouch und Hans Uwe Bauer, die als Hauptdarstellerin respektive Nebendarsteller für „Sterben“ geehrt wurden. Das waren emotionale Momente, die der Veranstaltung guttaten.

Ohne die verunglückte Dramaturgie der Show hätte sich durchaus ein Spannungsbogen ergeben können. Matthias Glasner war mit neun Nominierungen für sein autobiografisch geprägtes Projekt „Sterben“ als klarer Favorit ins Rennen gegangen, doch ein Durchmarsch ins Ziel wurde es nicht.  Vor der finalen Kategorie des „Besten Films“ stand den drei Preisen für „Sterben“ (neben den Darstellern gewann auch Filmkomponist Lorenz Dangel) insbesondere Ayşe Polats Doppelaufschlag gegenüber. Letztlich reichte es für „Im toten Winkel“ dann aber nur für die „Lola in Bronze“; „Silber“ ging an „Der Fuchs“, sodass „Sterben“ doch noch den Hauptpreis mitnehmen konnte.


Neuen Auftrieb verleihen

Man kann diese Entscheidungen der Akademie konsequent nennen. Man muss aber auch ein weiteres Fragezeichen dahinter setzen, was diese Ehrung über die Lage des deutschen Films aussagt. So kommt „Sterben“ mit drei Stunden Laufzeit zwar ambitioniert daher, doch in seiner Auseinandersetzung mit dem Tod ist der Film nur bedingt so tabuberecherisch oder so ungeschminkt, wie er in seiner Vermarktung angepriesen wird. Wenn sich die Handlung immer wieder von dem Ausgangspunkt – Glasners Verarbeitung des Todes seiner eigenen Eltern – entfernt, um in ein klischeehaftes Künstlerdrama oder in eine Groteske mit Alkohol und Klamauk abzudriften, zieht sich der Film auf eine Ebene zurück, die das unausweichliche Ende dann doch nicht ins Auge fassen will.

Alles andere als innovativ ist auch die Darsteller-Wahl, mit Schauspielern, die kaum von dem abweichen, was sie in den letzten Jahren immer wieder gespielt haben: Lars Eidinger als hadernder Sohn, Corinna Harfouch als gefühlskalte Mutterfigur, Lilith Stangenberg als Borderline-Persönlichkeit und Robert Gwisdek als egozentrischer Künstlertyp. Der persönliche Ansatz verschwindet hinter einer Parade bürgerlicher Befindlichkeiten, die man schon allzu oft gesehen hat.

Claudia Roth, Florian Gallenberger, (imago/Eventpress)
Claudia Roth, Florian Gallenberger, Alexandra Maria Lara (© imago/Eventpress)

Ein wenig trotzig hatten Florian Gallenberger und Alexandra Maria Lara als Präsidenten der Deutschen Filmakademie im Vorfeld der Verleihung von einem „echten Lauf“ des deutschen Films in der internationalen Wahrnehmung gesprochen. Eine Aussage, die durch das Ansehen von Darstellern wie Sandra Hüller, Franz Rogowski oder Nina Hoss, von Filmtechnikern wie Volker Bertelmann oder Florian Hoffmeister und auch von Regisseuren wie Wim Wenders, Maria Schrader und Edward Berger sehr berechtigt ist. Mit dem Aufgebot des 74. Deutschen Filmpreises aber hat diese Wahrnehmung keinen weiteren Anschub erhalten. Für das nächste Jahr kann die Branche nur hoffen, dass es mehr Impulse gibt, die dem künstlerisch ambitionierten Film Auftrieb verleihen.



Alle Preisträger der Deutschen Filmpreise 2024


Lola in Gold: „Sterben“ von Matthias Glasner

Lola in Silber: „Der Fuchs“ von Adrian Goiginer

Lola in Bronze: „Im toten Winkel“ von Ayşe Polat


Bester Dokumentarfilm: „Sieben Winter in Teheran“ von Steffi Niederzoll

Bester Kinder- und Jugendfilm: „Sieger sein“ von Soleen Yusef


Beste Regie: Ayşe Polat für „Im toten Winkel“

Bestes Drehbuch: Ayşe Polat für „Im toten Winkel“


Weibliche Hauptrolle: Corinna Harfouch in „Sterben“

Männliche Hauptrolle: Simon Morzé in „Der Fuchs“

Weibliche Nebenrolle: Adele Neuhauser in „15 Jahre“

Männliche Nebenrolle: Hans Uwe Bauer in „Sterben“


Beste Kamera: Roland Stuprich in „Die Theorie von Allem“

Bester Schnitt: Nicole Kortlüke in „Sieben Winter in Teheran“

Beste Tongestaltung: Michael Schlömer, Corinna Fleig, Florian Beck in „Leere Netze“

Beste Filmmusik: Lorenz Dangel in „Sterben“

Bestes Szenenbild: Cosima Vellenzer, Anika Klatt in „Die Theorie von Allem“

Bestes Kostümbild: Ingken Benesch in „Girl You Know It’s True“

Bestes Maskenbild: Alisza Pfeifer, Christina Baier in „Girl You Know It’s True“

Beste visuelle Effekte: Karim Saleh, Adrian Meyer in „Die Theorie von Allem“


Besucherstärkster Film: „Die drei ??? – Erbe des Drachen“ von Tim Dünschede

Ehrenpreisträger: Hanna Schygulla

Hanna Schygulla (imago/Eventpress)
Hanna Schygulla (© imago/Eventpress)

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