© IMAGO / Allstar (Wallace & Gromit in „Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“)

Die Kunst des Knetens - Nick Park

Über Nick Park, das britische Filmstudio ,,Aardman Animations‘‘ und die Besonderheiten der „Wallace & Gromit“-Filme

Veröffentlicht am
28. November 2024
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Ein britischer Käseliebhaber mit Erfindergeist und sein treuer Beagle geraten ständig in neue Abenteuer. Obwohl die vielfach ausgezeichnete Stop-Motion-Reihe „Wallace & Gromit“ bislang nur auf vier Kurzfilme, einen Spielfilm plus einige Ableger kommt, hat sie sich in der britischen Medienkultur festgesetzt. Nun bringen Nick Park und das Aardman-Studio einen weiteren Teil heraus; bei Netflix startet am 3. Januar „Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln“.


„Eine Idee, die ich hatte, handelte davon, dass dieser Mann und sein Hund eine Rakete bauen und zum Mond fliegen.“ Zu Studienzeiten dachte sich Nick Park mit seinem Mitbewohner stets Ideen für Kinderbücher aus. 1982 entstand daraus der Ansatz für die erste „Wallace & Gromit“-Geschichte. Inspiriert von anderen Stop-Motion-Arbeiten entschied sich der Student, seinen Film mit Knetfiguren zu realisieren. „Wallace & Gromit - Alles Käse“ (1989) wurde zu Parks Hauptprojekt an der National Film and Television School in Beaconsfield.

Stop- beziehungsweise Claymotion gilt als aufwendige Filmtechnik, da jede Einstellung mit den Modellen einzeln konzipiert und aufgenommen werden muss. Da Park allein arbeitete und zur damaligen Zeit keine Computereffekte möglich waren, benötigte er für einen Absatz im Drehbuch stellenweise über ein Jahr. 1986 stieß der britische Trickfilmer zu Aardman Animations, die einen großen Einfluss auf den damals 27-jährigen Park ausübten und ihn fortan bei seinem Projekt unterstützten.


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Die in Bristol ansässige Filmproduktionsgesellschaft wurde gut ein Jahrzehnt zuvor von Peter Lord und David Sproxton gegründet und konnte schon einige Erfolge im Animations-Bereich verbuchen. Mit „Morph“ hatten sie eine neugierige Knetfigur etabliert, die in mehreren BBC-Serien Kurzauftritte hatte. In den 1980er-Jahren wurde Aardman mit dem kreativen Musikvideo zu Peter Gabriels Song „Sledgehammer“ bekannt. Auch Nick Park steuerte einen Part zu dessen aufwendiger Animation bei. Seitdem realisierte die Produktionsfirma zahlreiche Musikvideos, Werbeclips und Animationsfilme; in der Dokumentation „A Grand Night In: The Story of Aardman“ erzählen Mitarbeitende und Weggefährten ausführlich vom Werdegang des Studios.

Nick Park (r.) mit Co-Regisseur Merlin Crossingham beim Dreh von „Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln“ (© Aardman Animations/Netflix)
Nick Park (r.) mit Merlin Crossingham bei „Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln“ (© Aardman/Netflix)

Sieben Jahre nach Produktionsbeginn wurde Parks Erstlingswerk „Wallace & Gromit - Alles Käse“ endlich fertig. Bei den „Oscars“ 1991 erhielt es prompt eine Nominierung in der Kategorie Bester animierter Kurzfilm, musste sich aber einem anderen Claymotion-Werk von Nick Park und Aardman Animations geschlagen geben: „Creature Comforts“, in dem animierte Wildtiere über ihren Alltag im Zoo erzählen. Die Stimmen der Kreaturen sind dabei O-Ton-Aufnahmen von Menschen, die über ihre aktuelle Wohnsituation befragt wurden.

Da Aardman zuvor überwiegend Auftragsarbeiten erledigte, sorgten Parks Kreativität und der Erfolg der Kurzfilme für eine wachsende Bekanntheit von Wallace & Gromit. Die nachfolgenden Werke „Die Techno-Hose“ (1993) und „Unter Schafen“ (1995) wurden für die BBC produziert und an Weihnachten ausgestrahlt, was die Popularität deutlich steigerte. Das dynamische Duo wurde allmählich zum Gesicht des Studios.

Durch diese Reputation kam es dazu, dass das britische Studio Ende der 1990er-Jahre mit Dreamworks kollaborierte. Aus dieser Zusammenarbeit entstand Aardmans erster Film in Spielfilmlänge: „Chicken Run - Hennen rennen“ (2000). Er wurde von Nick Park und Steve Box inszeniert und erhielt 2023 mit „Operation Nugget“ eine Fortsetzung. Darstellung und Humor erinnern dabei sehr an die Handschrift von Wallace & Gromit und ebneten den Weg für die künftigen Animationsfilmen von Aardman. Die Figuren Ginger aus „Chicken Run“, Roddy aus dem computergenerierten „Flutsch und weg“ oder Dug aus „Early Man - Steinzeit bereit“ sind Wallace aus dem Gesicht geschnitten.

Erfindungsgeist und Treuherzigkeit prägen das Knet-Duo (© Aardman Animations/Netflix)
Erfindungsgeist und Treuherzigkeit prägen das Knet-Duo (© Aardman/Netflix)

„Käse und eine schöne Tasse Tee“

Aus normalen Figuren werden Ikonen. Orientiert an britischen Traditionsfilmen, gerät das idyllische Kleinstadtleben des glatzköpfigen Engländers und seines Beagles durcheinander. In „Alles Käse“ sind es Wallaces leichtsinniger Erfindergeist und der ungezügelte Hunger auf Cheddar, Camembert & Co., der die beiden auf einen närrischen Trip zu dem aus Käse bestehenden Mond führt.

Dass sich Aardman zu einer etablierten Produktionsfirma entwickeln konnte, liegt auch am filmischen Ansatz von „Wallace & Gromit“. Regisseur Park präsentiert die konstruierte Rakete mit Stimmungswechseln, einer langsamen Kamerafahrt und dem Einsatz einer sinisteren Musik. Die Kombination aus dem spielerischen Treiben der liebenswerten Charaktere mit ihrer britischen Attitüde und dem Anspruch an eine dramaturgische Geschichte zeichnet die Stop-Motion-Serie aus. Zwar geraten Wallace und Gromit in spannungsgeladene Abenteuer, doch es wirkt stets so, als könnten alle Probleme mit einer Tasse Tee und einem würzigen Stück Roquefort gelöst werden.

Der „Oscar“-gekürte Film „Wallace & Gromit - Die Techno-Hose“ (1993) ist ein frühes Meisterwerk dieser Symbiose. Erneut wird das gewohnheitsmäßige Treiben der beiden Mitbewohner gestört – diesmal von einem zwielichtigen Pinguin mit schwarzen Stecknadel-Augen. Durch den tückischen Plan des ungebetenen Gastes entwickelt sich eine Handlung, die Elemente des Film noir offenbart. Trotz brillanter Lichtsetzung und ausgeklügelter Suspense-Momente gelingt es Park aber, den Slapstick des Animationsfilms nicht aus den Augen zu verlieren. Die Misere endet schließlich in der ikonischen Verfolgung mit einer Spielzeugeisenbahn; Tom & Jerry treffen auf Alfred Hitchcock.

Aufwendige Actionszenen prägen schon die frühen Filme wie „Unter Schafen“ (© MFA)
Aufwendige Actionszenen prägen bereits die frühen Filme wie „Unter Schafen“ (© MFA)

Retrospektiv bezeichnen die Aardman-Animateure den Film als das Hoch ihres künstlerischen Schaffens. Damit sie für die BBC schneller produzieren konnten, wurde das Budget für „Wallace & Gromit - Unter Schafen“ (1995) verdoppelt. Erneut verbinden sich Thriller-Elemente mit schriller Animation. Buster Keatons Missgeschicke und James Camerons „Terminator“ werden persifliert. Der Film eröffnet mit einer üppigen Actionsequenz, doch den Machern geht es stets um den Ausdruck.

Die wahre Kunst des Stop-Motion-Prozesses besteht darin, den Figuren mittels Mimik eine Seele zu verleihen. Der wortlose Gromit wird ausschließlich über die Blicke charakterisiert. In den Gesichtsausdrücken, die auf die Handlung reagieren, spiegelt sich der ganze Film; ohne Laute lassen sich bemerkenswert viele Emotionen erkennen. Dialoge werden in „Wallace & Gromit“ nur höchst sparsam eingesetzt. Dies hat auch pragmatische Gründe; so versteckt sich Wallaces Mund oft hinter Zeitungen, um die aufwendige Animation zu umgehen.

Ein weiteres stummes Tier hat in „Unter Schafen“ seinen ersten Auftritt: Shaun das Schaf avanciert zum heimlichen Star des Films und ist mit der bekannten Kinderserie und zwei eigenen Kinofilmen mittlerweile fast populärer als Wallace & Gromit.


Master & Mind

Im Jahre 2005 schafft es das Duo endlich auf die große Leinwand. In „Wallace & Gromit - Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ betreiben die Titelhelden ein Unternehmen namens „Antipesto“, um die Kleinstadtbewohner und ihre Gärten vor Schädlingen zu schützen. Doch der anstehende Gemüsewettbewerb wird von einem monströsen Hasen bedroht. Nach einer weiteren Co-Produktion mit Dreamworks weigerte sich Nick Park aber, mit dem US-amerikanischen Studio weiter zusammenzuarbeiten, da dieses den Film zu sehr auf ein kindliches Publikum zuschneiden wollte. Zusammen mit Steve Box inszeniert der Filmemacher dennoch ein spaßiges Katz-und-Maus-Spiel, das erneut auf die Filmgeschichte referiert und sich „zu einer liebenswerten Hymne auf die Freundschaft“ verdichtet, wie es seinerzeit im „Filmdienst“ hieß.

„Wallace & Gromit - Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ war der erste Langfilm (© Imago/Allstar)
„Wallace & Gromit - Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ war der erste Langfilm (© Imago/Allstar)

Der beste Freund des Mannes ist noch immer der Hund. Die stereotypische Naivität eines Vierbeiners liegt allerdings bei Wallace; Gromit besitzt hingegen jene intellektuelle Grundlage, um seinen menschlichen Kumpel bei jeder wahnsinnigen Idee bedingungslos zu unterstützen. Er verdreht die Augen, wird zeitweise von seinem Herrchen ausgenutzt und muss alle Missgeschicke ausbaden. Er ist der wahrscheinlich treueste, keineswegs aber treudoofe Hund der Fernseh- und Kinogeschichte.


Filigranes Handwerk, um Leben zu erschaffen

„Der ganze Film ist ein Spezialeffekt.“ Um bei Aardman zu arbeiten, braucht es laut Park eine eigenwillige Leidenschaft: Die Animateure müssten damit auskommen, ihr halbes Leben auf Knien zu verbringen. Dass es sich bei der Filmtechnik um echtes Handwerk handelt, offenbart auch der Archivbrand im Jahr 2005, bei dem zahlreiche Requisiten vernichtet wurden.

Die Haptik der Knetmodelle sorgt für den großen Charme von Claymotion. Zwar hat sich die Technik durch Ergänzungen mit CGI-Effekten vereinfacht, doch bei Wallace & Gromit verleiht die abgegriffene Animation den aus Plastilin hergestellten Figuren ihren eigentlichen Charakter. In frühen Werken lassen sich in manchen Szenen sogar Fingerabdrücke erkennen. Eine organische Unvollkommenheit, die in dieser Form aus einem Computer niemals generiert werden könnte.

Als maßgebliche Einflüsse für Wallace & Gromit gelten der Cartoonist Tex Avery, die Comics von Chuck Jones und Hergés „Tim und Struppi“. Nick Park verbindet die abenteuerlich-skurrilen Eskapaden der animierten Protagonisten mit Vorbildern aus der Filmgeschichte und verschiedenen Genres. Mit einen an „Alien“ erinnernden Gabelstapler wird schließlich die Bäckermörderin Piella Backleicht aus „Wallace & Gromit - Auf Leben und Brot“ (2008) erledigt - der bis dato letzte Beitrag der Stop-Motion-Reihe.

Im neuen Film kehrt Pinguin-Widersacher Feathers McGraw zurück (© Aardman Animations/Netflix)
Im neuen Film kehrt Pinguin-Widersacher Feathers McGraw zurück (© Aardman Animations/Netflix)

Ein neues Abenteuer

Trotz des vermeldeten Knete-Engpasses folgt nach zwanzig Jahren nun der zweite Langfilm von Wallace & Gromit, den Park zusammen mit dem langjährigen Aardman-Animator Merlin Crossingham inszeniert hat. Dabei wird Wallace erstmals nicht von dem 2017 verstorbenen britischen Theater- und Filmschauspieler Peter Sallis synchronisiert, sondern von Ben Whitehead, der die Figur schon in mehreren Computerspielen gesprochen hat und den eindringlichen Yorkshire-Dialekt von Sallis perfekt adaptiert.

Im ersten Teaser von „Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln“ erlebt man außerdem die Rückkehr eines alten Bekannten: Feathers McGraw. Der kriminelle Pinguin hat wieder die Fäden in der Hand. Wallace wird darin von einem „intelligenten“ Gnom abhängig, der einen eigenen Verstand zu entwickeln scheint. Es liegt an Gromit, die finsteren Mächte zu bekämpfen und seinen Freund zu schützen. Der Film startet am 3. Januar 2025 exklusiv auf Netflix.

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