Alarm in Tabaluga-Land

Ein Kommentar zu den Befunden eines Positionspapiers zur verfahrenen Situation der deutschen Animationsbranche

Veröffentlicht am
16. August 2019
Diskussion

Deutschlands Animationskünstler sind international geschätzte Kreative; um die Strukturen der deutschen Animationsfilmbranche ist es dagegen schlecht bestellt – das machte ein Positionspapier deutlich, das im Juni erschienen ist. Dabei zeigt sich: In Deutschland wird jede Menge künstlerisches und wirtschaftliches Potenzial verspielt.


Mit der FMX und dem Trickfilmfestival in Stuttgart, mit dem Animationsinstitut in Ludwigsburg und einem bundesweit einzigartigen Animationscluster bietet das Land Baden-Württemberg dem Medium Animation in all seinen Spielarten seit Jahrzehnten einen attraktiven Standort. Filmakademie-Abgänger aus Ludwigsburg sind weltweit gefragte Kreative, denen nach ihrer Ausbildung die Tore in die internationale Filmwelt offenstehen. Und gerade hat die Academy of Motion Pictures Arts and Sciences gleich eine ganze Reihe von Filmschaffenden aus dem Ländle in ihre Reihen aufgenommen, unter anderem den Leiter des Animationsinstituts und der FMX, Andreas Hykade.

Also alles gut? Alles auf dem richtigen Wege? Mitnichten! Eine Studie, ein Positionspapier der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, das seit Anfang Juni in Print- und Onlineform abrufbar ist, schlägt Alarm, dass zwischen Wahrnehmung und Realität eine ziemlich große Lücke klafft.

Die erfolgreichste deutsche Trickfilmproduktion 2018 war "Tabaluga - Der Film".
Die erfolgreichste deutsche Trickfilmproduktion 2018 war "Tabaluga - Der Film".

Es fehlen mittelständische Strukturen und langfristige Arbeitsplätze

Gerade mal auf den ersten zwei Seiten des Papiers wird die bisher geleistete Arbeit gelobt und unterstrichen, danach wird 186 Seiten lang Tacheles geredet. Und der redliche Versuch unternommen, die verfahrene Situation aus den vielfältigen Bereichen und Perspektiven zu beleuchten. Games, Visual Effects, Animation, Kinofilm, TV-Serie, Ausbildung, Förderung etc.

Der Leiter der Wirtschaftsförderung Stuttgart und Urheber der Studie, Dr. Walter Rogg, fasst die Ergebnisse zusammen: „Das Positionspapier stellt fest, dass der Animationsbereich bei aller öffentlichen Wahrnehmung aufgrund der Exzellenz unserer Künstler und der einzelnen Projekte offenbar bislang noch in zu geringem Umfang mittelständische Strukturen entwickelt hat. Viele regionale Produktionsfirmen leben bislang teils von Projekt zu Projekt und konnten bisher nur schwer dauerhafte Arbeitsplätze etablieren, von Ausnahmen wie Mackevision und einigen anderen abgesehen. Auf der anderen Seite beschreibt das Positionspapier eine starke mittelständische Entwicklung der Animation in anderen Ländern wie Frankreich, Kanada oder China. Wir wollten mit dem Papier eine Bestandsaufnahme anstoßen, die die Animation bei ihrer zukünftigen Entwicklung hin zu mittelständischen Strukturen und damit verbunden zu langfristig sicheren Arbeitsplätzen unterstützt.“

Dabei lässt die Studie auch einige Blickwinkel außen vor, etwa die der gegenwärtigen und kommenden Generationen von Schülern und Auszubildenden mit ihren Erwartungshaltungen gegenüber dem Medium, die ebenso ungehört bleiben wie etwa die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die ihre Programmplätze inzwischen ausschließlich mit Vorschul-Material füllen, das sie der Einfachheit halber aus dem europäischen Ausland aufkaufen.

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Eine deprimierende Passionslosigkeit gegenüber dem Medium Animation

Woran liegt also der Stillstand und langsame Rückschritt in Baden-Württemberg und dem Rest der Bundesrepublik im Bereich Animation? Mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten hiesiger „Animationsmanufakturen“, das Unvermögen der deutschen Branche, „zeitnah“ Material zu liefern, Anspruchslosigkeit („Ist ja nur für kleine Kinder!“), das mangelnde Vertrauen von Produzenten und Redakteuren, junge Talente zu fördern und ihnen freie Hand bei ambitionierten Projekten zu lassen, völlig erratische und unnötig zersplitterte Unterstützung seitens der Förderung und Politik, die auf eine gewisse Ahnungslosigkeit und simples Desinteresse schließen lassen. Und schlicht die Conditio Humana: Neid, Missgunst, Gier, Egoismus innerhalb der Branche, mangelndes ethisches Verhalten und ganz grundsätzlich eine daraus resultierende Passionslosigkeit gegenüber einem Medium, das in seinen schönsten Momenten die Herzen der Menschen auf der ganzen Welt berührt – überspitzt heißt das zum Beispiel in Sachen Film und Fernsehen: „Ritter Rost“ statt „Wallace & Gromit“, „Rabe Socke“ anstelle von „Mein Nachbar Totoro“, „Tabaluga“ statt „Die Eiskönigin“.

Mit Ende 20 gewannen Christoph und Wolfgang Lauenstein den Kurzfilm-"Oscar", ihre Spielfilme wie "Luis und die Aliens" finden aber keine eigene Handschrift.
Mit Ende 20 gewannen Christoph und Wolfgang Lauenstein den Kurzfilm-"Oscar", ihre Spielfilme wie "Luis und die Aliens" finden aber keine eigene Handschrift.

Dabei erlaubt es der steinige Weg der deutschen Film-Finanzierung, dass der Zuschauer aus der Gleichung ausgeschlossen werden konnte; ein Einspiel der Produktionskosten an der Kinokasse wird nicht mehr angestrebt: Die Finanzierung mittels regionaler, nationaler und europäischer Fördergelder, Rundfunkgebühren, Lizenzen etc. ermöglicht Produktionen ohne erkennbares Zielpublikum.

Talent wandert ab Richtung Hollywood

Man könnte dies vielleicht alles abtun als Meinungsmache Einzelner, wären die Herausgeber der Studie nicht vom Fach und die Autoren der einzelnen Artikel eben jene national wie international renommierten Experten, um die der Rest der Nation Baden-Württemberg beneidet. Ausgerechnet Professor Hykade bescheinigt in seinem Beitrag den deutschen Beteiligten in toto nur noch einen Platz am Spielfeldrand: Deutsche Produktionen hinterlassen – anders als Projekte aus Großbritannien, Frankreich, Irland und Spanien – „im internationalen Animationsmarkt so gut wie keine Spuren, was Markendurchsetzung, Licensing oder selbst Rezeption angeht, und bei genauerer Prüfung verlieren auch die veröffentlichten internationalen Box Office Results deutscher Animationslangfilme schnell ihren Glanz“.

Mit dem künstlerischen wird auch wirtschaftliches Potenzial verspielt. Lässt man Zukunftstechnologien wie VR/AR für einen Moment außer Acht oder die Erfolgsgeschichte deutscher Games (auch da gäbe es eine Menge zu besprechen), verdeutlicht allein schon der Blick auf die Kinoproduktionen die Situation: Toy Story 4 hat am Premieren-Wochenende in seinen Startterritorien ungefähr doppelt so viel Geld eingespielt, wie die Bundesrepublik insgesamt an Filmförderung im Jahr ausgibt. In dieser Premier League spielt die deutsche Animation nicht mit. Deutsche Animationskünstler hingegen schon, die nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums aufgrund von Überqualifikation und mangelnder nationaler Berufsaussichten „rübergemacht haben“ zu Disney, Pixar, Dreamworks & Co. Wozu und wofür bilden die hiesigen Schulen also aus?

Liebevoll gestaltete Figuren und technische Perfektion: Der Erfolg von "Toy Story 4" kommt nicht von ungefähr.
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Deutsche Produktionen bestehen weder künstlerisch noch kommerziell

In einer ganz ähnlichen Studie aus Berlin-Brandenburg aus dem Jahre 2005 wurden die Möglichkeiten für deutsche Produktionen wie folgt umrissen: „Bei der Produktion von Zeichentrickfilmen gibt es, wie bei der Produktion von anderen Kulturgütern, zwei wesentliche Herangehensweisen. Man kann einen Film für einen Markt produzieren, um ihn zu verkaufen, oder man kann ein Kunstwerk herstellen, ohne auf dessen Vermarktbarkeit bedacht zu sein. Es ist wohl unstreitig, dass weder der eine noch der andere Weg an sich ideal ist. Da ein Film jedoch beides ist, ein Produkt und ein Kulturgut, sollten beide Sichtweisen berücksichtigt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, einen künstlerisch wertvollen Film herzustellen, der sich gleichzeitig vermarkten lässt. Dafür ist jedoch erforderlich, dass der Produzent den Markt, für den er den Film produziert und in dem er sich bewegt, kennt.“

Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die „2. Liga“, in der deutsche Produktionen bei vergleichbaren Budgets neben europäischen und internationalen Projekten stehen, besteht ein unübersehbares Missverhältnis. Europäische Produktionen wie „Die Melodie des Meeres“, „Der Brotverdiener“ oder „Mein Leben als Zucchini“ überzeugen künstlerisch und werden mit „Oscar“-Nominierungen geadelt; eine rein kommerziell ausgelegte Produktion wie die amerikanisch-kanadische Co-Produktion „My Little Pony“ kann bei 6 Millionen Budget rund 60 Millionen Einspiel an der Kinokasse aufweisen. Deutsche Produktionen leisten weder das eine noch das andere: Welche deutsche Trickfilmproduktion hat in den vergangenen Jahren entweder ihre Fördergelder zurückzahlen können oder aber internationale Meriten erlangt?

Die branchengetragene Außendarstellung der deutschen Animationsproduzenten „Animation Germany“ hob Anfang des Jahres zum Pfeifen im Walde an und erklärte in einer Pressemeldung, dass im Ausland verglichen mit der Auswertung deutscher Realfilme das Einspielergebnis der deutschen Animationsfilme geradezu phänomenal sei. Doch selbst wenn man die veröffentlichten Zahlen und ihre Deutung unhinterfragt akzeptiert, warum werden mit diesen Gewinnen nicht wenigstens die Fördergelder zurückgezahlt? Warum investiert die Förderung nicht in den nachhaltigen Aufbau einer heimischen Animationsindustrie, sondern in einzelne Projekte, die wiederum wesentliche Teile der Produktion in Billiglohnländer wie Korea, Philippinen, Indien auslagert? Das Ministerium für Kultur erklärte treuherzig auf Anfrage, dass doch zum Beispiel die Animation an „Biene Maja“ in Stuttgart hergestellt worden sei. Die Animatoren in Australien, die „Maja“ animierten, reiben sich verwundert die Augen! Den moralischen Vogel aber schießt die kommende Produktion „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ ab: Da wird eine auch mit Geldern aus Baden-Württemberg geförderte Geschichte über den friedlichen sozialistischen Mauerfall 1989 aus kapitalistischen Überlegungen teilweise ins kommunistische China ausgelagert. Also ausgerechnet ins Land des Massakers auf dem Tiananmen-Platz 1989. Moralisches Fingerspitzengefühl sieht anders aus, und eine deutsche Animationsindustrie baut man so sicherlich auch nicht auf.

In Australien animiert: Der "deutsche" Erfolg "Biene Maja - Die Honigspiele"
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„Ich finde, wir brauchen mehr visionäre Produzenten und nicht unbedingt mehr Betriebswirtschaftler.“

Dass es aber auch anders geht, bewies die Produktion „Manou – Flieg flink!“ von Luxx Film, die ihren Film komplett in Stuttgart und Hannover herstellte und damit nicht schlechter oder besser fuhr als die Konkurrenz. Was können die, was die anderen nicht hinbekommen? Und dies nicht zu Lasten, sondern im Zusammenspiel mit den übrigen Segmenten wie den erfolgreichen VFX, den Games, den Zukunftstechnologien wie etwa VR/AR?

Thomas Meyer-Hermann, vielfach ausgezeichneter Studioleiter von Studio Film Bilder in Stuttgart, resümiert: „Wir haben in Deutschland mit Wettbewerbsnachteilen zu kämpfen, die etwas mit der oft fehlenden Akzeptanz und der daraus folgenden geringeren Unterstützung der Animation zu tun haben. Die TV-Sender sind weniger kooperativ. Die Förderer sind nicht immer gut informiert über die Bedürfnisse der Branche. In Baden-Württemberg sind wir durch die ständige Kommunikation im Cluster besser aufgestellt als die Kollegen in vielen anderen Regionen. Aber auch hier gilt es, die speziellen Anforderungen der Animation in die Förderstrukturen einzubauen. Den Ansatz eines Kompetenzzentrums finde ich nicht grundsätzlich falsch. Ich meine aber, das Cluster kann diese Aufgabe übernehmen, wenn es ausgebaut und mit eigenem Budget ausgestattet wird. Rückhaltlos unterstreichen kann ich die angestrebte Intensivierung eigener Stoffentwicklung (Intellectual Properties). Bei der im Positionspapier immer wieder durchscheinenden Forderung nach stärkerer marktwirtschaftlicher Ausrichtung und mehr Wirtschaftskompetenz bin ich zurückhaltender. Ich finde, wir brauchen mehr visionäre Produzenten und nicht unbedingt mehr Betriebswirtschaftler.“

Die Frage ist also jetzt, nach Veröffentlichung des Positionspapiers, ob der fulminante Weckruf zu einer lebhaften, zielführenden, konstruktiven Diskussion aller Beteiligten führt, die endlich wieder positive Bewegung in die festgefahrenen Strukturen bringt. Vorschläge und Argumente gibt es reichlich im Papier und sicherlich dürfte es entsprechend Gegenargumente geben. Die gehören auf den Tisch und öffentlich besprochen. Es wäre vor allem den großartigen Animatoren und Kreativen zu wünschen, die ihr Können endlich unter Beweis stellen möchten.

Sind anspruchsvolle europäische Animationsfilme wie "Der Brotverdiener" in Deutschland unverwirklichbar?
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Hier geht es zum Positionspapier zum Animationsstandort Region Stuttgart



Fotos:  © Sony, EuroVideo, Walt Disney, Universum, Netflix

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