Drama | USA/Großbritannien/Frankreich 1992 | 98 Minuten

Regie: Steven Soderbergh

Prag 1919. Eine geheimnisvolle Mordserie erschüttert die Stadt. Als sein Freund ermordet aufgefunden wird, stellt der Versicherungsangestellte und Feierabend-Schriftsteller Kafka Nachforschungen an, die eine schreckliche Wahrheit an den Tag fördern. Keine Biografie, sondern ein Albtraum-Märchen, das Versatzstücke aus dem Werk Franz Kafkas ebenso zitiert wie Bilder aus expressionistischen Filmen. Seine Fabulierlust, der brillante Hauptdarsteller und der wehmütige Witz machen den Film zu einem Erlebnis. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KAFKA
Produktionsland
USA/Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Baltimore
Regie
Steven Soderbergh
Buch
Lem Dobbs
Kamera
Walt Lloyd
Musik
Cliff Martinez
Schnitt
Steven Soderbergh
Darsteller
Jeremy Irons (Franz Kafka) · Theresa Russell (Gabriela) · Joel Grey (Burgel) · Jeroen Krabbé (Bizzlebek) · Armin Mueller-Stahl (Inspektor Grubach)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Prag im Winter 1919: Franz Kafka ist nur ein kleines Rädchen im Getriebe einer gewaltigen Versicherungsgesellschaft. Unter den argwöhnischen Augen des Bürovorstehers Burgel versieht er geflissentlich seinen Dienst. Seine Abende verbringt der Einzelgänger über der Korrespondenz mit seinem Vater, ferner arbeitet er an einer Geschichte, in deren Verlauf sich ein Mensch in ein Insekt verwandeln wird. Kafka gilt bei seinen flüchtigen Bekannten als Spinner.

Doch mit einem Mal hat sein zurückgenommenes Leben ein Ende. Sein einziger Freund, Eduard, verschwindet spurlos. Kafka stellt zögerlich Nachforschungen an und gerät an dessen Geliebte Gabriela, die ihn in ihren anarchistischen Bekanntenkreis einführt. Wenig später wird Eduards Leiche gefunden, die Identifikation konfrontiert Kafka mit Inspektor Grubach, für den der Fall - natürlich Selbstmord ! - bereits abgeschlossen ist. Kafka stellt eigene Ermittlungen an und glaubt bald an eine Verbindung zwischen dem Toten und dem geheimnisvollen Schloß, das über der Stadt hockt und sie auf mysteriöse Weise zu beherrschen scheint. Ohne ersichtlichen Grund wird er befördert, und ein merkwürdiges Zwillingspaar wird ihm als Assistenten zu Seite gestellt. Als er nur knapp einem Anschlag auf sein Leben entkommt, Gabriela verschleppt, der Anarchisten-Zirkel ausgelöscht wird und Grubach immer wieder seinen Weg kreuzt, entschließt Kafka sich zum aktiven Handeln. Auf einem geheimen Weg dringt er in die Registratur des Schlosses ein und wird dort wenig später mit Dr. Murnau konfrontiert, dessen Lebenswerk der lückenlosen Kontrolle des Individiums gilt. Murnau kann zwar gestoppt werden und Kafka mit heiler Haut entkommen, doch für Gabriela kommt jede Hilfe zu spät. Von den Strapazen körperlich - Kafkas Hüsteln hat sich zur Tuberkulose ausgewachsen, er spuckt Blut - und seelisch gezeichnet, schreibt Franz einen weiteren Brief an seinen Vater, teilt ihm die Erkenntnis mit, daß er sich nicht mehr aus dem seltsamen Vorgängen heraushalten kann, die Leben heißen.

Wer immer von Soderberghs "Kafka"-Film eine Biografie des Schriftstellers erwartet hat, wird maßlos enttäuscht sein. Soderbergh interessiert sich weniger für biografische Fakten, auch wenn er einiges in seinen Film einfließen läßt - er versucht, den Menschen Kafka und stets wiederkehrende Topoi seines Werkes für ein großes (fiktionales) Zeitgemälde nutzbar zu machen. Der Mensch, erbarmungslos einer anonymen Bürokratie ausgeliefert; Aktenvorgänge, die sich zu wahren Labyrinthen auftürmen; absolute Kontrolle über den einzelnen, das sind natürlich Themen Kafkas. Der Briefwechsel mit dem Vater ist ebenso verbürgt wie die Schwindsucht, doch all dies fügt sich nahtlos in eine stimmige Kinogeschichte ein, die mit Fabulierlust und kafkaesk weitergedacht wird. Nicht Aktenvermerke treiben die Geschichte weiter, sondern eine bizarre Mordserie als "running gag" in einem schwarzweißen Albtraum, an dessen farbigem Ende Gehirnkontrolle im wahrsten Sinne des Wortes steht. Einfach gedacht und umgesetzt und doch so erschreckend brutal.

Obwohl Soderbergh beteuert, sich nicht an den Filmen des deutschen Expressionismus' orientiert zu haben, drängen sich Vergleiche förmlich auf. Nicht nur das beeindruckende Spiel von Licht und Schatten in diesem Nacht-Film verweist auf die Filmgeschichte, zumindest das Ornamentale ist Fritz Lang nachempfunden. Nicht von ungefähr dürfte der Oberschurke Dr. Murnau heißen, und der Anarchisten-Treff ist nur über ein Dach und eine Außentreppe zu erreichen, die man so ähnlich zumindest schon einmal gesehen hat: in Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1919).

Doch nicht nur das Wiedererkennen solcher Versatzstücke und Reminiszenzen macht den Reiz des Films aus, sondern eine Vielzahl visueller Einfälle, ein durchgängig melancholisch-lakonischer Witz und ein Hauptdarsteller, in dessen traurigen Augen das ganze Leid und all die Einsamkeit dieser Welt zu liegen scheinen, machen ihn zu einem Erlebnis mit intellektuellen Weitungen. Trotz des mitunter folkloristischen Blickes, den Soderbergh einnimmt - dann stimmt sein Europabild nicht mehr so ganz -, erinnert "Kafka" an die Filme des Dänen Lars von Triers, wobei dessen Analyseversuche jedoch zugunsten des Unterhaltungskinos vernachlässigt werden. Es ist schon erstaunlich, welche filmischen Welten zwischen Soderberghs Erstling "Sex, Lügen und Video" (fd 27 906), einer eher spröden Zustandsbeschreibung menschlichen Verhaltens, und seinem neuen Werk liegen, das großes Kino liefern will und sich an ein großes Publikum richtet, dessen Mehrzahl vermutlich noch nie eine Zeile von Kafka gelesen hat.

Aus Fiktion, Wahrheit und Halbwahrheit ist ein ebenso reizvoller wie unterhaltsamer Film entstanden, der manchmal allerdings "über die Strenge schlägt", der in zu kurzer Zeit und zu verkürzt zu vieles will. Kakfas Krankheit entwickelt sich dann innerhalb weniger Tage, die Handlung wirkt ein wenig sprunghaft, und es entsteht der Eindruck, als wolle hier jemand um jeden Preis sein ganzes Wissen und seine scheinbar überbordende Vorstellungswelt in nur 98 Minuten hineinpressen. Doch winzige Szenen und knappe Dialogfetzen zeugen dann wieder von der Konzentration auf das Wesentliche: etwa wenn Kafka am Ende des Geheimgangs ins Schloß aus einem Aktenschrank steigen muß, und dieses eine Bild sein ganzes Leben zusammenfaßt, oder wenn er kurz zuvor den befreundeten Steinmetz Bizzlebek bittet, im Falle seines Ablebens seinen literarischen Nachlaß zu verbrennen, und der dieses mit der Bemerkung ablehnt, daß das nur Frauen übers Herz bringen würden. Ein Witz in Anspielung auf die Literaturgeschichte: die meisten Werke Kafkas wurden erst posthum von seinem Freund Max Brod veröffentlicht.
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