11'09"01 - September 11

- | Frankreich 2002 | 130 Minuten

Regie: Samira Makhmalbaf

In elf Kurzfilmen von jeweils elf Minuten und neun Sekunden Länge setzen sich elf Filmemacher in persönlichen Gedanken und Bildern mit den New Yorker Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 auseinander. Die sehr unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen ergänzen sich dabei trotz mancher formaler Schwächen in der Summe zu einem diskussionswerten Kompilationsfilm, dessen Reiz gerade in der Vielfalt seiner Perspektiven liegt: keine Reportage, die Täter benennen und mit den Opfern mitleiden möchte oder auch nur könnte, sondern ein Beitrag, der in seiner Sprachlosigkeit dem Geschehen angemessener erscheint als manche noch so gut gemeinte Fernsehdokumentation. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
11'09"01
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Galatée Films/La Générale de Production/Studio Canal
Regie
Samira Makhmalbaf · Claude Lelouch · Youssef Chahine · Danis Tanovic · Idrissa Ouédraogo
Buch
Samira Makhmalbaf · Claude Lelouch · Pierre Uytterhoeven · Youssef Chahine · Danis Tanovic
Kamera
Ebrahim Ghafori · Pierre-William Glenn · Mohsen Nasr · Mustafa Mustafic · Luc Drion
Musik
Mohamad Rezadarvishi · Salif Keita · Manu Dibango · Guem Percussion · Vladimir Vega
Schnitt
Mohsen Makhmalbaf · Stéphane Mazalaigue · Rashida Abd Elsalam · Monique Rysselinck · Julia Gregory
Darsteller
Maryam Karimi · Emmanuelle Laborit · Jérôme Horry · Nour Elshérif · Ahmed Seif Eldine
Länge
130 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Das Konzept ist denkbar schlicht: Elf Kurzfilme, jeder von ihnen genau elf Minuten und neun Sekunden lang. Thema: Der 11. September 2001. Völlig frei in der Gestaltung erhielten die Filmemacher Gelegenheit, ihre persönlichen Gedanken zu den New Yorker Terror-Akten in Bilder zu fassen. Teilnehmer: Elf verschiedene, mehr oder weniger namhafte Regisseure, säuberlich nach den Kriterien der kulturellen Relativität und der Political Correctness über die Weltkarte verteilt; darunter zwei Frauen, ein Israeli und ein Araber, eine Iranerin und ein Amerikaner, ein Lateinamerikaner, zwei West- und ein Osteuropäer, aber auch Mittel- und Ostasien und Afrika sind vertreten. Organisiert hat das Projekt der französische Produzent Alain Brigand, auf dem Festival in Venedig hatte der Film Premiere. Vom Konzept her klingt dies sehr gewagt, nach papierner Konzeptkunst, nach politischer Pflichtübung, die alle Filmkunst schon im Ansatz unter einer politisch-kulturellen Prämisse erstickt. Kunst und Kompromiss haben noch nie gut zusammengepasst, und der Grat ist sehr schmal, auf dem sich das Kino einem Ereignis wie dem 11. September nähern kann. Sieht man den Film, ist man zuerst einmal sehr angenehm überrascht: Es beginnt mit einem rauchenden Schornstein. Die Armut eines Flüchtlingslagers irgendwo in Asien. Kinder, die in einer Ziegelbrennerei schuften müssen. Eine junge Lehrerin, die diesen Flüchtlingskindern Unterricht gibt, und ihnen zu erklären versucht, was soeben in New York passiert ist. Aber die Stadt liegt weit weg, und letztlich fehlen die Maßstäbe, in Worten begreiflich zu machen, was geschehen ist. Was bleibt, sind wieder nur die Bilder: der Schlot der Brennerei, der düster-bedrohlich wirkt, und den rauchenden Türmen von Manhattan erschreckend ähnelt. Samira Makhmalbafs Film ist perfekt inszeniert. Das Pathos der Schornsteine und sparsamen Gesten wird durch die Anmut der Kinder gebrochen; und eine Schule in Wahrnehmungspsychologie ist das alles wohl auch. Doch ganz knapp nur schrammt ihr Film dabei an der Grenze zu einer kitschigen, allzu verbindlichen Niedlichkeit vorbei: Kleine Kinder, die im Kino Politik erklären, lassen den Betrachter ganz kurz an den Stil der Fernsehsendung „Dingsda“ denken. Aber letztlich gelingt es doch. Weil der Kurzfilm, ohne sich eines einzigen der allzu gut bekannten Bilder zu bedienen, ein Gefühl für die Dimension der Ereignisse weckt, der manch anderem Beitrag des Kompilationsfilms fehlt. Bevor der Film in den USA anlief, hatte auch der Streit bereits begonnen. Von „französischen Obszönitäten“ war die Rede, von Antiamerikanismus. Man kann dies kaum nachempfinden. Denn der Reiz des Films liegt gerade in der Vielfalt seiner Perspektiven. Dies ist keine Reportage, kein Film, der Täter benennen und mit Opfern mitleiden möchte oder auch nur könnte. Perfekt ist zwar keiner der Beiträge, aber in ihrer Verschiedenheit ergeben sie ein Gesamtbild, das in seiner Sprachlosigkeit dem Geschehen letztlich angemessener scheint als manche noch so gut gemeinte Dokumentation des letzten Jahres. Ähnlich wie Makhmalbaf zeigt dies auch Ken Loach. Sein Kurzfilm ist, wie alle seine Filme, ein politisches Pamphlet. Aber schon sehr lange hat man kein ähnlich starkes mehr gesehen. Der Film besteht aus einem Brief an die Hinterbliebenen der Opfer. Sein Verfasser ist der Musiker Vladimir Vega, ein in London lebender chilenischer Emigrant, der sein Verständnis und Mitgefühl gerade damit begründet, dass er selbst Ähnliches erlebt habe, auf den Tag genau 28 Jahre zuvor, am 11. September 1973, beim Militärputsch gegen Salvador Allende. Man sieht George W. Bush, der in seiner ersten Stellungnahme sagt: „Freedom itself was attacked“; aber kommentiert werden diese Worte mit den Bildern des rauchenden Moneda-Palastes von Santiago – der Putsch wurde, wie Loach unmissverständlich macht, von den USA inszeniert, die folgenden Verbrechen, Terror und Vertreibung von Nixon und seinen Nachfolgern zumindest gebilligt. Die Amerikaner als Täter. Das relativiert die New Yorker Ereignisse und stellt sich dabei doch nie in die Nähe zu jener nach dem 11. September grassierenden Salonrhetorik der Amerika-Kritik, nach der es „ein wenig auch die Richtigen trifft“. Denn was Loachs perfekte Gratwanderung zeigt und was jede noch so kleine Geste Vladimir Vegas ausdrückt: Das Terror wie er an jenen beiden Tagen des 11. September geschah, trifft nie die Richtigen. Bisher hielt sich das internationale Autorenkino mit Reaktionen auf die Anschläge zurück. Das ist nur zu verständlich, denn wie soll man mit Bildern gegen die Bilder ankämpfen, die sich seit einem Jahr in unsere Hirne eingebrannt haben? Auch die elf Filmemacher, die hier einen ersten Versuch wagen, das zeigt sich bald, entgehen diesen Bildern nicht. Im besten Fall arbeiten sie mit ihnen, zitieren sie metaphorisch, wie Loach und Makhmalbaf. Am häufigsten werden sie indirekt gezeigt, gefiltert durch einen Fernsehschirm am Bildrand, etwa bei Claude Lelouch, in dessen Film letztlich aber das globale Ereignis vom privaten Liebesdrama umklammert wird. Und von Effekthascherei: Denn Lelouch zeigt die Liebe zwischen einem New Yorker Fremdenführer und einer Taubstummen, die zwar den Fernseher laufen hat, aber den Ton nicht hören kann – und deswegen das Ereignis verpasst, weil sie ihrem Geliebten gerade einen Abschiedsbrief schreibt. Besser gelingt das Idrissa Ouedraogo. Sein Film ist der mit Abstand humorvollste: Er zeigt einige Straßenjungen, die glauben, in Ouagadougou plötzlich den weltweit gesuchten Osama bin Laden zu erkennen. Zu Hause holen sie ihre Speere, denn es winken 25 Mio. Dollar Lösegeld. Ein witziges Spiel mit dem Bildklischee des zur Ikone des Bösen gewordenen bin Laden. Die bekannten Bilder hingegen ganz zu ignorieren, wie dies Shohein Imamuras pathetischer, in das Gebot „Es gibt keinen heiligen Krieg“ mündende Beitrag versucht, funktioniert gar nicht, wirkt angestrengt oder zufällig – der 11. September 2001 bleibt ein visuelles Ereignis. Sehr schwach wirkt erst recht der hektische Film des Israelis Amos Gitai, der aus einer einzigen Einstellung die ersten elf Minuten nach einem Bombenanschlag in Jerusalem filmt, der sich am selben Tag ereignete. Gezeigt wird eine Journalistin beim erfolglosen Versuch, von ihrem Sender live zugeschaltet zu werden, weil ihr Bericht von den Ereignissen in New York verdrängt wird. Das einzige wirklich neue Bild gelingt ausgerechnet dem Amerikaner Sean Penn: In einer märchenhaften Einstellung zeigt er ein Wohnungsfenster, durch das mit dem Zusammenbruch der Türme plötzlich Sonnenlicht einfällt, das Wachsen des Lichts ist dabei auch eine gelungene Metapher für das Licht der aufklärenden Erkenntnis, für ein vor allem auch emotionales Begreifen, das – im besten Fall – auch mit dem 11. September verbunden werden kann. So bleibt ein beachtliches, insgesamt sehr sehenswertes, wenngleich in der ästhetischen wie inhaltlichen Aussage disparates Ergebnis. Der vielleicht in seiner Kompromisslosigkeit beste Versuch stammt vom Mexikaner Alejandro González Iñárritu: Er zeigt einfach nur eine schwarze Leinwandfläche. Man hört Tonfetzen aus der Fernsehberichterstattung, letzte Worte auf Anrufbeantwortern. Und manchmal sieht man in kurzen Bildresten die Wände der Hochhäuser. Ganz abstrakt wirken sie ruhig und schön. Bis man die Menschen erkennt, die an ihnen entlangstürzen. Auch sie scheinen zu fliegen, zu schweben. Das ist in seiner von Filmen Guy Debords entlehnten Form zwar auch eine Absage an die Spektakelgemeinschaft des Publikums der Nachrichtensendungen. Es sind aber vor allem Bilder, die einem das Grauen des 11. September nahe bringen, ohne es seiner Anonymität zu berauben. Denn manchmal ist das Grauen ganz leicht, nicht schwer.
Kommentar verfassen

Kommentieren