Was vom Tage übrig blieb

Drama | USA 1993 | 134 Minuten

Regie: James Ivory

Die Geschichte eines englischen Butlers, der seinem aristokratischen Arbeitgeber bis zur totalen Unterdrückung aller persönlichen Gefühle dienstbar ist, wird zum Porträt einer Epoche, deren äußerer Glanz kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges die Defizite der angelsächsischen Klassengesellschaft nicht mehr verdecken kann. Ein sensibler, von vorzüglichen Schauspielern profitierender Film, in dem intime Psychologie und sozialer Kommentar nahtlos ineinandergreifen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE REMAINS OF THE DAY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Columbia/Merchant Ivory
Regie
James Ivory
Buch
Ruth Prawer Jhabvala
Kamera
Tony Pierce-Roberts
Musik
Richard Robbins
Schnitt
Andrew Marcus
Darsteller
Anthony Hopkins (James Stevens) · Emma Thompson (Miss Kenton) · James Fox (Lord Darlington) · Christopher Reeve (Jack Lewis) · Peter Vaughan (William Stevens)
Länge
134 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Special Edition enthält u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, des Produzenten und der Hauptdarstellerin Emma Thompson, drei erhellende Dokumentationen sowie ein kommentiertes Feature mit nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Columbia TriStar Home (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl., DS dt.)
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Diskussion
James Ivorys Filme sind, was man in der Musik "Thema und Variationen" nennt. Gleichgültig, ob in der alten oder in der neuen Welt angesiedelt, handeln sie stets von Menschen als Erzeugnissen ihrer Zeit. Intime Psychologie und sozialer Kommentar greifen in Ivorys Filmen so nahtlos ineinander, daß sie sich gegenseitig bedingen, daß die Manifestation des einen die Wurzeln des anderen ist. Je mehr Freiheiten ihm der wachsende Publikumserfolg seiner noch vor einem Jahrzehnt (zumindest in den USA) als "elitär" empfundenen Filme einräumt, um so konsequenter entwirft die Anthologie historischer Menschen- und Si-tuationsbeschreibungen ein sich allmählich rundendes Panorama angelsächsischer Kultur und Ethik.

Dem Porträt zweier diametraler Familien im bourgeoisen England um die Jahrhundertwende ("Wiedersehen in Howards End", fd 29 933) folgt nun eine Geschichte individueller und gesellschaftlicher Verirrungen in Europa vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Es ist ein "Upstairs, Downstairs"-Drama, das alle Voraussetzungen zu einer emotionalen Beschreibung der bereits angekränkelten Zwei-Klassen-Gesellschaft mitbringt, unter den Händen von Ivorys bewährter Autorin Ruth Prawer Jhabvala aber eine ganz andere Richtung einschlägt. "Was vom Tage übrig blieb" handelt von einem Butler, einer Hausdame und einem englischen Lord. Der Film beginnt 1958, als Grundbesitz und bewegliches Eigentum des inzwischen verstorbenen Lords nur durch die sentimentale Anwandlung eines reichen Amerikaners vor dem Ruin bewahrt bleiben. Mr. Stevens, der Butler, erinnert sich bei der Suche nach verläßlichem Personal einer Miss Kenton, die ihm einst zu Zeiten Lord Darlingtons als Hausdame zur Seite gestanden hat. Er hat noch (schriftlichen) Kontakt zu ihr und macht sich auf, sie an der Westküste zu besuchen.

Die Erinnerungen, die ihm ins Gedächtnis kommen, führen zurück in die Jahre der sich zu Ende neigenden Blütezeit englischer Aristokratie, als Lord Darlington sich noch als wohlmeinend-naiver Amateurpolitiker betätigen konnte, und Mr. Stevens einem sorgsam gedrillten Reich von 17 Bediensteten vorstand. Butler in einem aristokratischen Haushalt zu sein, war für Mr. Stevens der Gipfel des Erstrebenswerten, eine Position, in deren vollkommener Erfüllung er für sich selbst vollkommene Befriedigung fand. Privates Leben und eigene Gefühle hatten sich der Pflicht unterzuordnen, selbst wenn es sich um den im Sterben liegenden Vater handelte. Miss Kenton hingegen wäre nie so weit gegangen. Auch sie versah ihren Dienst ohne den kleinsten Makel, aber sie wagte die Artikulation individueller Empfindungen, wenn es ihr unvermeidbar an der Zeit schien. Mr. Stevens sah sich in jenen bewegten Jahren häufiger durch das in seinen Augen irritierende, wenn nicht gar unangemessene Verhalten der Hausdame beunruhigt als durch die politischen Aktivitäten des Hausherrn. Der huldigte seit den Tagen einer alten, durch frühen Tod beendeten Freundschaft einer fatal undifferenzierten Zuneigung zu Deutschland. Blind für die Politik Hitlers, machte er sich zum Vermittler zwischen dem Westen und der deutschen Regierung und zum Exponenten jener Versöhnungsideologie, deren Opfer sogar der englische Premierminister zeitweilig geworden war. Unerbittlich gegenüber der Wahrnehmung persönlicher Gefühle, gestattete sich Mr. Stevens keine Aufmerksamkeit für die Vorgänge im Haus, auch dann nicht, als ihm aufgetragen wurde, zwei deutschen Hausmädchen, die gerade angestellt worden waren, wieder zu kündigen, weil sie Jüdinnen waren.

Dieser Butler, extremes Relikt einer aristokratischen Epoche, der auch 20 Jahre später noch jedes Gefühl für die verwirrende Miss Kenton in sich begräbt und versiegelt, könnte aus heutiger Sicht leicht als unzeitgemäße, sich selbst überlebt habende Figur auf Distanz gewiesen werden, brächte nicht Anthony Hopkins (im Zusammenspiel mit Emma Thompson) das Kunststück fertig, ihn als mehr und mehr bewegende, ja tragische Gestalt erscheinen zu lassen. Diese in jeder Situation, in jedem Ausdruck überzeugende Darstellung eines Menschen als Produkt der Gesellschaft, in der er erzogen wurde, ermöglicht es Ivory, die Schattenseite jenes aristokratischen Lebensstils aufzudecken, dessen äußere Erscheinung so voller Eleganz und Harmonie war. Filme wie Scorseses "Zeit der Unschuld" (fd 30 532) und Ivorys "Was vom Tage übrig blieb", obgleich in historischer Ferne spielend, treffen einen sensiblen Nerv des heutigen Publikums. Sie geben einerseits einem Verlangen nach Schönheit und Ordnung nach, das längst die Sehnsucht nach dem Nostalgischen verlassen hat und zu einem inneren Bedürfnis in einer Zeit der Versachlichung und der wachsenden privaten Unsicherheit geworden ist, übersehen andererseits aber nicht den Preis, den Menschen dafür zahlen mußten. Schönheit und Schein liegen so dicht beisammen, daß es unmöglich ist, das eine vom anderen zu trennen.

Es ist diese Ambivalenz, die Ivorys Filme auch früher schon geprägt hat, die aber von einem Film zum nächsten mit immer stärkerer Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Daß seine Filme Team-Arbeiten sind, darf dabei nicht übersehen werden. Vor allem die langjährige Verbundenheit mit Ruth Prawer Jhabvala hat zu einer immer konsequenteren thematischen Verdichtung geführt, zu der die äußere Opulenz der Bilder nur in scheinbarem Gegensatz steht. Als besonderer Glücksfall muß diesmal die Besetzung mit Hopkins und Thompson angesehen werden, die beide fähig sind, dieser Ivoryschen Ambivalenz darstellerischen Ausdruck zu geben, ohne die Leinwand mit egoistischem Schauspielerkino zu usurpieren. Sie übertreffen ihre Leistung in "Wiedersehen in Howards End" mit einem noch mehr zurückgenommenen Spiel, das die amerikanische Kritikerin Julie Salamon mit Recht zu dem euphorischen Bekenntnis veranlaßt hat: "Man wünscht sich, sie würden weiter und weiter zusammen spielen, in einem Film nach dem anderen."
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