Lindenberg! Mach dein Ding

Biopic | Deutschland 2019 | 135 Minuten

Regie: Hermine Huntgeburth

Eine Filmbiografie über die Jugend und ersten Karrierejahre des Musikers Udo Lindenberg, der 1946 im westfälischen Gronau geboren wird und in den 1960er-Jahren gegen jeden gegenteiligen Rat beginnt, mit deutschen Texten zum Rockstar zu werden. Der Film ist in seiner mosaikartigen, um diverse, wiederkehrende Sujets und Themen kreisenden Machart eigenwillig, entwickelt als einfühlsames Biopic wie als mitreißender Musikfilm mit überzeugendem Hauptdarsteller aber große Sogkraft. Die mäandernde Erzählweise lässt dabei Zeit zum Durchatmen, für die Musik und für die präzise Ausmalung von Stimmungen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Letterbox Filmprod./Seven Pictures Film/Amalia Film/DCM Pic.
Regie
Hermine Huntgeburth
Buch
Alexander M. Rümelin · Christian Lyra · Sebastian Wehlings
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Oliver Biehler
Schnitt
Ueli Christen · Eva Schnare
Darsteller
Jan Bülow (Udo Lindenberg) · Detlev Buck (Mattheisen) · Max von der Groeben (Steffi Stephan) · Charly Hübner (Gustav Lindenberg) · Julia Jentsch (Hermine Lindenberg)
Länge
135 Minuten
Kinostart
16.01.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Musikfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar mit Produzent Michael Lehmann und Regisseurin Hermine Huntgeburth. Das Mediabook enthält u.a. ein 24-seitiges Booklet mit Texten zum Film.

Verleih DVD
DCM/Leonine (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
DCM/Leonine (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Eine Filmbiografie über die Jugend und ersten Karrierejahre des Musikers Udo Lindenberg von den Anfängen in den 1960er-Jahren bis zum Durchbruch mit der Andrea-Doria-Tournee 1973.

Diskussion

Und dann kullert der Kerl – weißes Hemd, schwarze Hose, in der Hand eine Schnapsflasche – die Düne herunter. Irgendwo in der Nähe von Tripolis geschieht das, man schreibt das Jahr 1963 oder 1964. Der Himmel gleißt in der Morgenstunde. Udo Gerhard Lindenberg hat eine einsame Nacht der Trunkenheit hinter sich. Ein anderer hätte sich an seiner Stelle vielleicht die Kugel gegeben. Doch aufgeben ist nicht sein Ding, selbst im Moment der Blamage nicht.

Seit frühester Kindheit ein begeisterter Trommler, ist der 17-Jährige als Schlagzeuger mit einer Band um Gerold Flasse nach Libyen gefahren, um in der Umgebung des Luftwaffenstützpunkts „Wheelus Air Force Base“ zur Aufmunterung da stationierter Amerikaner zu spielen. Er hat ein paar Tage zuvor, kurz bevor im Lokal spätnachts die Lichter ausgingen, für sich allein auf der Bühne ein Lied gesungen. Der Besitzer hat ihn zufällig gehört, war begeistert und hat ihn am nächsten Abend überraschend als Sänger angekündigt. Lindenbergs Auftritt ist ein Reinfall. Die Gäste werden unruhig, beginnen zu buhen, die geistesgegenwärtig zum zweiten Mikrofon greifende Sängerin verhindert die totale Eskalation. Lindenberg sucht mit einer Flasche in der Hand das Weite und säuft sich durch die sternenklare Wüstennacht.

Einer, der sein eigenes Ding macht

Doch vielleicht ist das Erlebnis für Lindenberg – der Film von Hermine Huntgeburth lässt es offen – nicht nur albtraumhaft, sondern auch läuternd. Ein frühes Aufblitzen, eine leise Ahnung dessen, was sich aus dem begnadeten jungen Mann dereinst herausschälen wird: ein gar nicht so leiser Querdenker, Dichter, Sänger, Komponist. Einer, der sein eigenes Ding macht und davon träumt, bevor er selber weiß, wie das gehen soll: In den späten Wirtschaftswunder-Jahren hat die Welt noch kaum eine genaue Ahnung, wie sich (englische) Rockmusik anhört, geschweige denn deutscher Rock. In Deutschland wird deutsch nur in Schlagern, Volksliedern, Operetten und Opern gesungen: Gus Backus, Alexandra, Wencke Myhre, Freddy Quinn sind die Stars der Stunde, die Griechin Nana Mouskouri verkauft den Deutschen weiße Rosen aus Athen, Gitte will einen Cowboy als Mann und Ralf Bendix singt beim Babysitten Boogie.

Udo Gerhard Lindenberg aber, 1946 im westfälischen Gronau geboren und musikalisch noch ein Niemand, will genau das, wovon ihm in Hamburg von seiner Geliebten Paula (Ruby O. Fee) bis zum weitsichtigen Musik-Manager Mattheisen (eine wahrhaft herrliche Rolle für Detlev Buck!) alle abraten: deutsche Rockmusik machen und nebenbei ganz unbescheiden der berühmteste deutsche (Rock-)Star werden.

Lindenberg mit der Schnapsflasche in der libyschen Wüste steht ganz am Anfang von Hermine Huntgeburths „Lindenberg! Mach dein Ding“. Die Szene später wiederaufgegriffen, findet gegen Ende des Films ihre Analogie in einer weiteren, in der Lindenberg bei seinem legendären ersten Auftritt der Andrea-Doria-Tournee sturzbesoffen von der Treppe auf die Bühne kullert – und dann liegend losrockt, als ob er nie etwas anderes getan hätte. Mit „Hoch im Norden“ ist ihm, nachdem seine erste, englisch eingespielte LP floppte, 1971 überraschend sein erster (B-Seiten-)Single-Hit gelungen, die Andrea-Doria-Tournee 1973 bringt schließlich den Durchbruch. „Alles klar auf der Andrea Doria“, in dem nebst Rosa und Lola auch die „Paula aus St. Pauli“ auftaucht, wird ebenso ein Hit wie „Cello“, den Lindenberg seiner Gronauer Jugendliebe Susanne (Ella Rumpf) widmet, und „Mädchen aus Ostberlin“, in dem er seine (unmögliche) Liebe zur Ostdeutschen Petra (Saskia Rosendahl) besingt. Sensibel, wortgewandt, und meist leise humorvoll, besingt Lindenberg nichts anderes als eigene Beobachtungen und Befindlichkeiten.

Die Biografie mosaikartig aufgefächert

Huntgeburth fächert Lindenbergs Biografie mosaikartig auf: die frühen Jahre seines Musiker-Daseins von 1951, als er als Sechsjähriger seinen Vater beim Wohnzimmerauftritt auf dem Blecheimer als Trommler begleitet, bis zu seinen ersten Erfolgen 1973. Ihr Film kreist um diverse wiederkehrende Sujets und Themen: Lindenbergs Verhältnis zu seinem Vater, der – selber eine verkappte Künstlerseele – seinem Sohn zwar ein Schlagzeug schenkt, diesem gleichzeitig aber einbläut, dass alle Lindenbergs Klempner werden und im Leben keinen Erfolg haben. Lindenbergs Frauen und Lieben, allen voran die zu seiner von Julia Jentsch einfühlsam gespielten Mutter Hermine, die ihren Sohn mit seinen hochfliegenden Träumen zwar versteht, aber sich für diesen Sohn gegen ihren Mann nicht zu wehren vermag. Seine On-/Off-Freundschaft mit dem Bassisten Steffi Stephan (Max von den Groeben), mit dem er in seinen St. Pauli-Jahren, in denen er sich gelegentlich auch als Studio-Musiker verdingt, nicht nur zusammenspielt, sondern zeitweise auch zusammenwohnt und 1973 das Panikorchester gründet. Nicht zu vergessen die Hochs und Tiefs seiner aus nichts als dem ureigenen Bauchgefühl heraus vorangetriebenen Karriere, und, in diese eingeschrieben, seine turbulente Beziehung zu Musikmanager Mattheisen.

Huntgeburth erzählt in Schleifen und Schlaufen und manches scheint manchmal eine Runde zu viel zu sein. Doch das patchworkartige Mäandern gibt dem Film – und den Zuschauern – Zeit. Zeit zum Atmen. Zeit für Musik, Lieder und Texte. Zeit für Stimmungen und präzise Schilderungen, sowohl des biederen Zeitkolorits der 1950er-Jahre wie der vom Geist des jungstürmischen Aufbruchs geprägten späten 1960er-, frühen 1970er-Jahre; auch des hemmungslosen „Sex & Drugs, Love, Peace & Happiness“-Treibens in Hamburgs St. Pauli. Huntgeburth schwelgt in detailgetreuen Kulissen und schrill-schrägen Kostümen, verweilt in einzelnen Szenen und Momenten. Etwa in der abgrundtiefen Bewunderung des jugendlichen Udo (Claude Heinrich) für die um einige Jahre ältere Susanne, die im Schwimmbad so mutig vom Turm springt, dass er mit stolzgeschwellter Brust ihr Fahrrad nach Hause schiebt. Oder in den lasziven Rumhänge- und leidenschaftlichen Bettszenen mit Paula, den von Blicken dirigierten Begegnungen in einer Bar, einem Lokal, dem legendären „Onkel Pö“.

Getragen vom Sog der Musik

Getragen wird „Lindenberg! Mach dein Ding“ vom Sog der Musik und der spürbaren Spielfreude seines Darsteller-Ensembles. Allen voran von Jan Bülow, der in der Rolle des schlaksigen Titelhelden bald mit übermütiger Schnoddrigkeit überrascht, um in stilleren Szenen unverhofft die zart-verletzlichen Seiten einer jungen Künstlerseele an den Tag treten zu lassen. Bülow hat alle Songs selber interpretiert. Auch wenn er dabei nicht ganz so sehr nuschelt wie sein Vorbild und diesem auch nicht unbedingt ähnlich sieht, so hat er dessen Mimik und flapsige Gestik doch derart authentisch drauf, dass man ihm Lindenberg jede Sekunde abnimmt.

So erzählt „Lindenberg! Mach dein Ding“ denn weniger eine Lebensgeschichte, als dass er eine persönliche Befindlichkeit schildert, aus der heraus sich ein junger Mensch allen sich ihm in den Weg stellenden Hindernissen zum Trotz unbeirrbar zum Künstler mausert. Es ist ein in seiner zart-stürmischen Leidenschaft berührender Coming-of-Age-Film und ein in seiner (visuellen) Gestaltung großartiger Musikfilm, der für eingefleischte Lindenberg-Fans zum Schluss übrigens eine feine Überraschung bereithält. Dies frei nach dem Motto: Ich habe niemals daran gezweifelt.

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