Schwanengesang (2021)

Drama | USA 2021 | 116 Minuten

Regie: Benjamin Cleary

Ein todkranker Grafiker möchte seiner schwangeren Frau und seinem jungen Sohn Verlust und Trauer ersparen und lässt sich klonen, damit sein genetischer Doppelgänger, in den auch seine Erinnerungen implementiert werden, an seine Stelle treten kann. Im Nachhinein kommen ihm aber schwere Bedenken. Das stilsichere Near-Future-Drama hält der Melodramatik des Plots einen elegant-kühlen Look entgegen, kippt nie in Weinerlichkeit und wird von brillanten Darstellern getragen. Der intelligente Science-Fiction-Stoff wirft spannende ethische Fragen auf nach Selbstbestimmung und Identität im transhumanen Zeitalter, nach Verantwortung und Rücksichtnahme und dem Wesen des Menschen und seiner Beziehungen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SWAN SONG
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Anonymous Content/Apple/Concordia Studio/Know Wonder
Regie
Benjamin Cleary
Buch
Benjamin Cleary
Kamera
Masanobu Takayanagi
Musik
Jay Wadley
Schnitt
Nathan Nugent
Darsteller
Mahershala Ali (Cameron) · Naomie Harris (Poppy) · Glenn Close (Dr. Scott) · Awkwafina (Kate) · Adam Beach (Dalton)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Science-Fiction
Externe Links
IMDb | TMDB

Elegant inszeniertes und exzellent gespieltes Near-Future-Drama über einen todkranken Mann, der sich klonen lässt, um seiner Familie Leid und Trauer zu ersparen, aber heftige Zweifel an dem Vorhaben entwickelt.

Diskussion

Der Grafikdesigner Cameron Turner (Mahershala Ali) lebt mit seiner großen Liebe Poppy (Naomie Harris) und dem kleinen Sohn Cory (Dax Rey) zufrieden in einem großzügigen Haus in Kanada. Doch während Poppy ihr zweites Kind erwartet, wird bei Cameron eine unheilbare Krankheit festgestellt. Der fürsorgliche Ehemann und Familienvater verschweigt die Erkrankung, auch weil er die sensible Musikpädagogin Poppy schonen will, die erst vor kurzem eine heftige psychische Krise durchgemacht hat, in die sie durch den Unfalltod ihres geliebten Zwillingsbruders Andre (Nyasha Hatendi) geraten war. Ihre einjährige Selbstabschottung hatte auch die Ehe erheblich belastet.

Ein genetischer Doppelgänger soll die drohende Leerstelle in der Familie füllen

Cameron wendet sich an die Ärztin Dr. Jo Scott (Glenn Close), die mit ihrer Firma Arra Labs in Vancouver eine revolutionäre Behandlungsmethode anbietet. Das Unternehmen kann menschliche Klone anfertigen und diese mit den Erinnerungen und Emotionen des echten Menschen ausstatten. Damit das perfekt gelingt, führen Scott und ihr Team in einem hospizartigen Behandlungszentrum, das an einem einsamen See im Wald verborgen liegt, umfangreiche Tests durch. Mit dem Klon können Todkranke ihren Angehörigen Leid und Trauer ersparen, die das Sterben mit sich bringt. Allerdings sieht der abzuschließende Vertrag auch vor, dass die Liebsten von dem Austausch durch den Klon nichts erfahren. Cameron willigt ein und lernt nach dem Abschluss der Programmierung den gesunden Klon namens Jack (Mahershala Ali) kennen. Als Cameron klar wird, dass seine perfekte Kopie nun an seiner Stelle glücklich bei seiner Familie leben wird, während er seine letzten Tage ohne die Liebsten im einsamen Refugium verbringen muss, werden in ihm jedoch ernsthafte Bedenken wach.

Der US-Schauspieler Mahershala Ali hat binnen zwei Jahren bereits zwei „Oscars“ als bester Nebendarsteller gewonnen: 2017 für „Moonlight“ und 2019 für „Green Book – Eine besondere Freundschaft“. Umso erstaunlicher, dass Ali bisher noch keine Hauptrolle in einem Kinospielfilm verkörpert hat, sieht man von dem angekündigten Auftritt in dem Marvel-Film „Blade“ und der dritten Staffel der Krimiserie „True Detective“ ab. Dafür darf der 47-Jährige nun in „Schwanengesang“ gleich eine schwierige Doppelrolle meistern.

Eine starke Ensemble-Leistung

Einen „Oscar“ kann auch der Drehbuchautor und Regisseur des Near-Future-Dramas, Benjamin Cleary, vorweisen. Der Ire gewann 2016 für seinen ersten Kurzspielfilm „Stutterer“ über einen sprachgestörten Einzelgänger, der sich in eine Taubstumme verliebt, den „Academy Award“ für den besten Kurzfilm. Sein Langfilmdebüt besticht nun durch eine erstaunlich stilsichere Inszenierung, die trotz des heiklen, schicksalsschweren Themas jeden Anflug von Rührseligkeit oder gar Weinerlichkeit zu meiden versteht. Cleary führt das herausragende Ensemble zu bestechenden Leistungen – vor allem zwischen Ali und Harris fliegen die Funken, aber auch die unterschiedlichen Gemütszustände von Cameron und Jack bringt Ali überzeugend auf die Leinwand.

Der Film punktet überdies mit elegant-kühlem Design, starken Bildkompositionen und einer zurückhaltenden, aber wirkungsvollen Filmmusik, die sich nie in den Vordergrund drängt. Dazu kommen smarte Science-Fiction-Objekte, die die Handlung unaufdringlich in der nahen Zukunft verorten, wie ein autonom fahrendes Auto, das den Kranken zwischen Wohnung und Refugium hin- und herfährt, oder hypermoderne Video- und Monitortechnik, die es Cameron erlaubt, das Familienleben mit seinem Doppelgänger aus der Ferne live mitzuerleben.

Einige kleine Schönheitsfehler weist Clearys bemerkenswert reifer Regieeinstand allerdings auf. So strapaziert der Umstand, dass niemand in Camerons Umgebung dessen Krämpfe, Anfälle und Ohnmachten bemerkt, die Glaubwürdigkeit erheblich. Zudem wird der clevere Einfall, dass der kleine Familienhund Jack bei der ersten Begegnung sofort als Fremden einstuft und bellt, leider nicht weiterverfolgt. Außerdem weist die zweite Hälfte etwa bei den vielen Rückblenden einige Redundanzen auf, was die emotionalen Implikationen des Rollentauschs angeht.

Was bleibt von der Einzigartigkeit des Menschen im transhumanen Zeitalter

Die Liebesfähigkeit von künstlich geschaffenen Menschen scheint derzeit ein virulentes Thema zu sein, wie zum Beispiel der britische Science-Fiction-Film „Ex Machina“ (2015) zeigt. Während sich Maria Schrader in der Tragikomödie „Ich bin dein Mensch“ gerade auf amüsante Weise mit der Frage befasst hat, ob sich eine Wissenschaftlerin in einen smarten männlichen Roboter verlieben kann, ist diese Frage bei Cleary schon geklärt: Der Klon der Hauptfigur hat Gefühle wie jeder „echte“ Mensch. Dafür stellt das Near Future-Drama umso dringlicher schwerwiegende moralische und philosophische Fragen: Welche Opfer ist man bereit zu bringen, um seine Familie zu schonen? Darf man seine engsten Angehörigen für einen vermeintlich guten Zweck täuschen? Ist es legitim, so tiefgreifend in das Leben von Mitmenschen ohne deren Wissen und Zustimmung einzugreifen, wie das der Protagonist tut? Was bleibt vom Menschsein, von der Einzigartigkeit des Individuums, wenn ein perfekter Klon einen Menschen offenkundig nahtlos ersetzen kann? Insofern hallt der Film mit dem anspielungsreichen programmatischen Titel noch lange nach und liefert reichlich Denkanstöße, unter anderem mit Blick auf Potenziale und Risiken des Transhumanismus.

Kommentar verfassen

Kommentieren