Biopic | Großbritannien 1994 | 122 Minuten

Regie: Christopher Hampton

Die zugleich erfüllte und tragische Liebesgeschichte zwischen der englischen Malerin Dora Carrington und dem homosexuellen Schriftsteller Lytton Strachey in einer in sechs Kapiteln chronologisch von 1915 bis 1932 erzählten historischen Künstlerbiografie. Ein sympathisch unprätentiöses Regiedebüt, das sich auf das Innenleben seiner exzellent gespielten Figuren konzentriert und die Vergänglichkeit der sexuellen Anziehungskraft und den Wert der seelischen Harmonie zwischen Liebenden betont. (Fernsehtitel: "Carrington - Liebe bis in den Tod") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CARRINGTON
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Freeway/Orsans
Regie
Christopher Hampton
Buch
Christopher Hampton
Kamera
Denis Lenoir
Musik
Michael Nyman
Schnitt
George Akers
Darsteller
Emma Thompson (Dora Carrington) · Jonathan Pryce (Lytton Strachey) · Steven Waddington (Ralph Partridge) · Samuel West (Gerald Brenan) · Rufus Sewell (Mark Gertler)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Liebesfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Als in diesem Jahr in Cannes die Schauspielerpreise vergeben v/urden, rief die Auszeichnung von Helen Mirren als "beste Darstellerin" in "King George - ein Königreich für mehr Verstand" (fc. 31 593) Verwunderung hervor. Nicht, weil Helen Mirren keine großartige Schauspielerin wäre, sondern weil sie in dem Film, für den sie ausgezeichnet worden war, keine Gelegenheit hatte, es zu zeigen. Übergangen worden war dagegen eine Schauspielerin, die in der weitaus schwierigeren Titelrolle eines anderen Debütfilms unauffällig geglänzt hatte: Emma Thompson als "Carrington". Denkbar, daß die Jury nicht beide Darstellerpreise an denselben Film vergeben wollte, denn es war Thompsons Partner Jonathan Pryce, der die Auszeichnung für seine bewegende Interpretation der Figur des Lytton Strachey erhielt.

"Lytton Strachey" ist Gegenstand und Titel des Buches von Michael Holroyd, das dem Film zugrunde liegt, und das das Leben des Schriftstellers Lytton Strachey nachzeichnet. Strachey, geboren 1880, ging mit scharfsichtigen Biografien seiner Zeitgenossen in die britische Literaturgeschichte ein. Bevor er jedoch 1918 mit "Eminent Victorians" als satirischer Autor bekannt wurde, hatte er bereits einen anderen, weniger schmeichelhaften Ruf in der britischen Gesellschaft: im patriotischen Getümmel des Ersten Weltkriegs galt der überzeugte Pazifist und Wehrdienstverweigerer als "Feigling und Vaterlandsverräter", überdies war er bekennender Homosexueller. Als er 1932 an Magenkrebs erkrankte und im Winter desselben Jahres starb, konnte und wollte auch seine langjährige Lebensgefährtin, die Malerin Dora Carrington, nicht weiterleben. Sie ist die Figur, die Christopher Hampton in den Vordergrund rückt, auch wenn Strachey ständig präsent bleibt.

"Carrington" - so will sie immer ohne den "weiblichen" Vornamen genannt werden -, ist eine vielversprechende Kunststudentin und talentierte Malerin, als sie Strachey 1915 im Hause Virginia Woolfs erstmals begegnet. Sie ist gerade 21, ein burschikoser Typ und ein wacher, rebellischer Geist, der mit Kleidung, Frisur und Verhalten still, aber unübersehbar gegen die gesellschaftlichen Normen und Konventionen ihres Zeitalters opponiert. Strachey ist von ihrer androgynen Erscheinung, ihrer natürlichen Art und ihrem Nonkonformismus gleichermaßen fasziniert. Carrington verliebt sich erst "mit Anlauf in den 15 Jahre älteren, hageren und bärtigen Intellektuellen, der nichts mit den äußerlich hübschen, aber konturlosen Jünglingen gemein hat, die ihr seit ihrem Studium nachstellen. Siebzehn Jahre lang, bis zum Ende seines Lebens, wird das Paar zusammenbleiben, verbunden durch eine seltene Seelenverwandtschaft, einen Gleichklang von Gefühlen und Gedanken, den kein Außenstehender verstehen kann. Allein der Umstand, daß die beiden Liebenden einander ihre unvereinbaren sexuellen Bedürfnisse nicht erfüllen können, zwingt beide immer wieder in zwar leidenschaftliche, aber schmerzliche Affären mit anderen Männern. Leid und Entsagung, Eifersucht und Mißtrauen sind die unvermeidlichen Folgen der sich daraus ergebenden, teilweise bizarren Beziehungskonstellationen. Carrington heiratet beispielsweise vor allem, weil Strachey ihren Ehemann attraktiv findet.

Hampton verläßt sich in seinem, in sechs Kapiteln chronologisch angelegten und sympathisch unprätentiösen Regiedebüt völlig auf diese ungewöhnliche Geschichte und seine beiden exzellenten Hauptdarsteller. Im Unterschied zu den meisten Liebesgeschichten, die man im Kino zu sehen bekommt, legt er großen Wert auf die Feststellung, daß es nicht unbedingt die sexuelle Anziehung ist, die zwei Menschen zusammenhält. Seine bemerkenswerte historische "Künstlerbiografie" ist weniger an der beschriebenen Epoche oder den Werken der beiden zu ihrer Zeit mehr oder minder renommierten Künstler interessiert, sondern völlig dem Innenleben seiner zugleich privilegiert und tragisch verstrickt lebenden Protagonisten gewidmet. Selbst dem aufgeschlossenen heutigen Betrachter mögen, ganz wie einst Carringtons und Lyttons Zeitgenossen, Verhalten und Motive der beiden letztlich fremd bleiben, doch Hamptons einfühlsames Porträt schafft es auf alle Fälle Verständnis und Anteilnahme für sie zu wekken. Man verläßt das Kino mit dem angenehmen Gefühl, zwei höchst bemerkenswerte Menschen kennengelernt zu haben, auch wenn man sich nicht in sie und ihre Situation hineinversetzen kann.
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