Krimi | USA 1955 | 105 Minuten

Regie: Robert Aldrich

Ein Privatdetektiv wird in einen gefährlichen Fall verwickelt, als er einer Frau begegnet, die offensichtlich ein dunkles Geheimnis hütet und bald darauf grausam zu Tode kommt. Er nimmt die Ermittlungen auf und findet heraus, dass das Verbrechen mit radioaktivem Material zu tun hat, das im Rahmen des sogenannten "Manhattan Projekt" entwendet wurde. Verfilmung eines Gangsterromans von Mickey Spillane, dessen raubeinige Privatdetektiv-Figur Mike Hammer sich in einer Grauzone zwischen Legalität und Illegalität bewegt. Ein unterkühlt und knapp inszeniertes, mit expressionistischer Lichtsetzung glänzender "film noir", der die in den 1950er-Jahren um sich greifende Angst vor einer atomaren Bedrohung mit einer harten Kriminalstory verbindet. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
KISS ME DEADLY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1955
Produktionsfirma
Parklane
Regie
Robert Aldrich
Buch
A.I. Bezzerides
Kamera
Ernest Laszlo
Musik
Frank De Vol
Schnitt
Michael Luciano
Darsteller
Ralph Meeker (Mike Hammer) · Albert Dekker (Dr. Soberlin) · Paul Stewart (Carl Evello) · Juano Hernandez (Eddie) · Wesley Addy (Lt. Pat Murphy)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; nf
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung
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Heimkino

Verleih DVD
Koch Media
Verleih Blu-ray
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Diskussion

Nachts auf der Straße, irgendwo außerhalb der Hollywood Hills von L.A.: Eine panisch keuchende Frau namens Christina Bailey (Cloris Leachman) rennt angsterfüllt auf der Fahrbahn entlang. Mit entsetztem Gesicht und lediglich mit einem Trenchcoat bekleidet, reißt sie urplötzlich die Hände hoch. Geblendet vom grellen Scheinwerferlicht eines auf sie zurasenden Sportwagens bleibt die hysterische Frauengestalt auf einmal wie angewurzelt stehen. Die Reifen des Luxusautos quietschen, und der seltsam bullige Fahrer (Ralph Meeker) kann mit einer Vollbremsung gerade noch das Schlimmste verhindern.

Hinter dem Steuer sitzt Mike Hammer, Beruf: skrupelloser „Hardboiled Detective“, der die offensichtlich aus einer Irrenanstalt entflohene Frau kurzerhand zur nächsten Tankstelle mitnimmt, wo sie einen ominösen Brief aufgibt. Während aus dem Autoradio Nat King Coles „I’d rather have the blues than what I’ve got“ ertönt, laufen die Vorspanntitel in Robert Aldrichs „Rattennest“ (Originaltitel: „Kiss Me Deadly“) rückwärts (!) ab. Es entspinnt sich ein kurzer Dialog über mangelnde Empathie und ungleiche Geschlechterrollen, der obendrein voller sexueller Anspielungen steckt und die Sittenwächter Hollywoods 1955 sogleich in höchste Alarmbereitschaft versetzte:

„Du hast nur eine große, dauerhafte Liebe: dich. Du bist einer dieser selbstgefälligen Kerle, die an nichts denken als an ihre Kleider, ihr Auto, sich selbst. Du bist die Art von Mensch, die in Beziehungen nie etwas gibt, nur nimmt.“ Zudem erklärt Mike Hammers verwirrte Beifahrerin, dass sie ein dunkles Geheimnis hütet, das erst viel später im Film zumindest teilweise aufgeklärt wird.

Ein grausiger Mord und ein hartnäckiger Schnüffler

Wenige Minuten später ist sie tot, weil das ungleiche Paar in die Hände brutaler Gangster geraten ist, die Christina zu Tode foltern, während Mike Hammer halb bewusstlos am Boden liegt und nur noch das Zappeln ihrer Beine verschwommen wahrnimmt. Kurz darauf wird Hammers Sportbolide mitsamt den Entführten von der Straße über einen steilen Küstenanhang hinabgestoßen, was der schwer malträtierte Privatdetektiv überraschenderweise überlebt.

Anstatt sich weiter mit schmierigen Scheidungsfällen zu beschäftigen oder im Krankenhaus auszuruhen, startet der unerschrocken-unerbittliche Berufsschnüffler nun zusammen mit seiner Assistentin Velda Wickman (Maxine Cooper) sowie dem Polizeileutnant Pat Murphy (Wesley Addy) eine ebenso fintenreiche wie mörderische Jagd nach dem „great whatsit“, das Mike Hammer am Ende zu einer Strandhütte und zugleich zu einem der berühmtesten Film-Enden aller Zeiten führen wird. Ein Finale, das lange Zeit in den USA nur in verstümmelten beziehungsweise zensierten Fassungen vorhanden war und erst 1997 vollständig wiederhergestellt wurde. Die kürzlich erschienene DVD- und BD-Version von Koch Films enthält glücklicherweise beide Endfassungen sowie weniges, aber interessantes Pressematerial zur schwierigen Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte jenes Skandalfilms, der in Deutschland und Großbritannien jahrzehntelang nur in gekürzten Fassungen zu sehen war.

Wider die atomare Aufrüstung und die Prüderie der 1950er

Kein Wunder, dass ihn die staatliche „Kefauver-Kommission“ in den USA zur Premiere als „größte Bedrohung für die amerikanische Jugend“ bezeichnete. In Aldrichs gnadenlos zynischem Regieblick wurde sowohl die Versessenheit der Siegermacht Amerika auf atomare Aufrüstung angeprangert – in der Auflösung des Falls entpuppt sich schließlich ein Koffer mit atomarem Material, das aus dem sogenannten „Manhattan Projekt“ entwendet wurde, als Movens der mörderischen Verstrickungen – sowie der puritanisch-verklemmte Gesellschaftsgeist und die parallele Unterdrückung des Sexualtriebs in den 1950ern.

Dabei ist die Atmosphäre dieses „Kriminalfilms von morgen“ (wie die „Cahiers du cinéma“ damals urteilten) durchwegs mysteriös-destruktiv, bis am Ende nur Verlierer übrigbleiben. In dramaturgisch waghalsigen, comichaft besetzten („Va-Va-Voom“) und visuell atemberaubenden Regiemanövern des damaligen Mittdreißigers Aldrich erreichte der Film noir zusammen mit Orson Welles’ „Im Zeichen des Bösen“ seinen letzten Kulminationspunkt, was dieser faszinierenden Paranoia- und Gewalt-Studie bis heute eine enorme Frische verleiht und den zeittypisch arg pessimistischen Grundcharakter („Everyone is everywhere involved in a fruitless search – for what?“) zumindest zeitweise abmildert.

Eine extragroße Portion Sarkasmus, Anarchie und Lakonie

Was Robert Aldrich (1918-1983) da Mitte des 20. Jahrhunderts mit Minibudget in nur drei Wochen Produktionszeit und bereits mitten im Kalten Krieg dem Hollywood-Studiosystem nach der lose adaptierten Mickey-Spillane-Vorlage „Rhapsodie in Blei“ („Ich habe den Titel genommen und das Buch weggeschmissen“) als junger Regie-Maverick vorlegte, sprengte schlichtweg die damaligen Seh- und Produktionsmethoden. Anstatt sich wie im originalen Pulp-Roman Spillanes auf Rauschgiftschmuggel und die darin involvierte Mafia zu konzentrieren, setzten der Genrekino-Aficionado Aldrich und sein Drehbuchautor A.I. Bezzerides gezielt auf Anti-Heldentum, geschickte Täuschungsmanöver des Publikums sowie die akut um sich greifende Bedrohung durch die Atombombe.

Konzipiert nach Aldrichs persönlichem Leitsatz „Lebe wild, schnell und gefährlich“ und zeitlos genial in der Verknüpfung von unterdrückter Libido und militärischer Aggression ist „Rattennest“ starker Tobak geblieben, was ihm auch Jahrzehnte später immer noch eine FSK-18-Alterseinstufung einbringt. Knappe Gesten, kurze Blickwechsel, abrupte Szenenwechsel, eine extraordinäre Bildgestaltung sowie eine spätexpressionistische Lichtsetzung prägen Aldrichs brutales Männer-Leinwandabenteuer, das durch seine extragroße Portion Sarkasmus, Anarchie und Lakonie auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Uraufführung immer noch aneckt.

Wie eine von der Kette gelassene Bulldogge

Zugleich schuf „Le Gros Bob“, wie die französischen Intellektuellen und Regisseure aus dem Umfeld der „Cahiers du cinéma“ Aldrich frühzeitig nannten, mit der Mike-Hammer-Figur in „Rattennest“ den Archetypen des eigensinnig-gerissenen und wahlweise eiskalt oder selbst mit Brutalo-Methoden agierenden Ermittlers, der inzwischen durch zahllose amerikanische Crime-Serien wie eine von der Kette gelassene Bulldogge mäandert. Mit hemdsärmeligen Sprüchen, derangiertem Aussehen und betont virilem Auftreten ist Mike Hammer sozusagen der knurrige Prolet unter den großen amerikanischen Detektivfiguren und meilenweit von Großstadtschnüfflern à la Hammetts Sam Spade oder Chandlers Philip Marlowe entfernt.

Und in gewisser Weise gilt das nicht weniger für den Regisseur Aldrich selbst, der sich trotz vieler Tops und Flops innerhalb seiner langen Karriere immer selbst am besten in der Rolle des Outsiders im Hollywood-System gefiel, der stets auf künstlerische Kompromisslosigkeit im Rahmen bloßer „Konfektionsware“ (Dominik Graf) setzte und gerade gegenüber den Studiobossen verbal gerne auf harte Kante setzte, was ihm insgesamt deutlich mehr Feinde als Freunde in L.A. einbrachte, aber seinen Ruhm im europäischen Ausland als widerborstiger „Professional“ umso mehr beförderte.

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