© IMAGO / Sommer (Jane Birkin bei der Berlinale 1988)

Königin der Paradoxe - Jane Birkin

Zum Tod der Schauspielerin, Sängerin und Stil-Ikone (14.12.1946-16.7.2023)

Veröffentlicht am
28. Dezember 2023
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Anlässlich des Todes von Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin erinnern zahlreiche Nachrufe an ihr Flair als Stil-Ikone und It-Girl, das in den 1960er-Jahren an der Seite von Serge Gainsbourg zum Star avancierte. Aber auch ihr Beitrag zum französischen Kino verdient es, im Gedächtnis zu bleiben.


„Ich mag das Loch nicht. Es ist zu persönlich. Als ob man jemanden anstarren würde“, antwortet Jane Birkin auf Agnès Vardas Frage, warum sie dem „Blick“ der Kamera so hartnäckig ausweiche. Die Filmemacherin Agnès Varda filmt ein Selbstporträt der Schauspielerin Birkin, das schon qua Titel als Gleichung auftritt: „Jane B. par Agnès V.“ (1988). Um die Blickverhältnisse zu erweitern, zu verwirren und zu egalisieren, installiert sie zu Beginn einen Spiegel, in dem sich nicht nur Birkin verdoppelt, sondern bald auch ihre, Vardas Reflektion, erscheint. Birkin, die die Analogie von Kamera und Spiegel nicht so richtig überzeugt, versucht sich selbst mit einem Trick zu überlisten: „Ich schaue dich an, aber nicht in die Kamera. Sie könnte eine Falle sein.“


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Jane Birkin ist in „Jane B. par Agnès V.“ (1988) Viele: romantische Muse, spanische Tänzerin, Stan Laurel, zwangsgeräumte Arbeiterin und Mutter, Malermörderin, Croupière, Venus, Ariadne, Marilyn, Calamity Jane, Jeanne d’Arc – und eine „Königin der Paradoxe“, wie Varda feststellt. In wechselnden Rollen, Frisuren und Kostümen, die auf Frauenfiguren der Mythologie, der Malerei und des Kinos (und auf ihre eigene Persona) verweisen, probiert sie zusammen mit Spielpartner:innen, die sie sich selbst ausgesucht hat – Philippe Léotard, Jean-Pierre Léaud, Farid Chopel und Laura Betti – verschiedene Geschlechterrollen aus.

"Jane B. par Agnes V." (© IMAGO / United Archives)
"Jane B. par Agnes V." (© IMAGO / United Archives)

„Jane B. par Agnès V.“ ist ein Spiel, ein Labyrinth der Bilder und Auftritte, ein surrealistisches Puzzle und ein Doppelporträt. Birkin und Varda sind Komplizinnen, auch in den Szenen, in denen Birkin scheinbar „privat“ ist, kann man nie sicher sein, wo die Grenzen zwischen Spiel und Leben verlaufen, wer hier eigentlich wen betrachtet und porträtiert.


Alles zeigen, wenig enthüllen

In Jane Birkins Filmografie, die annähernd hundert Titel umfasst (Kino- und TV-Filme, Musikvideos) ist „Jane B. par Agnès V.“ eine Zäsur. Ihr Image als Ikone der Popkultur und als Muse Serge Gainsbourgs, manifestiert in unzähligen medialen Abbildungen, splittert sich auf und verschiebt sich. Auch Vardas Blick auf Birkins nackten Körper ist fundamental anders: zugewandt, bewundernd, taktil, aber nicht erotisierend. „Ich möchte so gefilmt werden, als wäre ich transparent, anonym, wie jede andere“, behauptet Birkin, um sich sogleich wieder zu entziehen. Einmal fordert die Filmemacherin Birkin auf, ihre Handtasche zu leeren. Birkin kippt den ganzen Inhalt ihrer vollgestopften Birkin-Bag auf den Boden und meint dann mit leicht schelmischem Blick auf den Haufen Kruscht – „Und? Hast du etwas herausgefunden, nachdem du gesehen hast, was drin ist?“ – Varda: „Selbst wenn du alles zeigst, enthüllst du nur wenig.“

Jane Birkin 2021 (© Domine Jerome/IMAGO/ABACAPRESS)
Jane Birkin 2021 (© Domine Jerome/IMAGO/ABACAPRESS)

Jane Mallory Birkin, geboren 1946 in London als Tochter eines Marineoffiziers und der Theaterschauspielerin Judy Campbell, betrat das Kino namenlos. In „The Knack … And How to Get It“ (Der gewisse Kniff, 1965) von Richard Lester, der sie für die Leinwand entdeckte, wird sie als „Girl on Motorbike“ gelistet, in den nachfolgenden Filmen als „Art Student“ und „Exquisite Thing“; selbst in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ (1966), dem Film, mit dem ihr der Durchbruch als Schauspielerin gelang, ist sie nur „The Blonde“. Ihre Rolle in „Slogan“ (1969) von Pierre Grimblat ist längst vergessen, erwies sich jedoch als folgenreich für ihr weiteres Leben. Serge Gainsbourg, der an ihrer Seite spielte, wurde ihr langjähriger Lebensgefährte – auch über seinen Tod hinaus. Ihr Duett „Je t’aime ... moi non plus“ erlangte Kultstatus. Zwölf Jahre lang produzierten Gainsbourg und Birkin teils solo, teils gemeinsam Musik, 1976 spielte sie unter seiner Regie auch in „Je t’aime moi non plus“, einem (freilich heterosexuell perspektivierten) Versuch, Begehren anders und quer zu denken. Birkin verkörpert gegen ihr damaliges Lolita-Image eine jungenhafte Frau, die einen Crush auf einen schwulen Trucker entwickelt (gespielt von einem anderen Sexsymbol, dem Warhol-Superstar Joe Dallesandro.)

„Je t’aime moi non plus“ (© Imago images/Mary Evan)
„Je t’aime moi non plus“ (© Imago images/Mary Evans)

Vom It-Girl zur Charakterdarstellerin

Erst die Zusammenarbeit mit dem Autorenfilmer Jacques Doillon, der Gainsbourg als Lebenspartner ablöste, gab Birkins Schauspielerinnen-Vita eine andere Richtung. „La fille prodigue“ (1981) nannte sie später ihre erste seriöse Arbeit als Schauspielerin, tragende Rollen hatte sie auch in Doillons Filmen „La pirate“ (1984) und „Comédie!“ (1987). Neben Varda, die auf der Grundlage von Birkins Drehbuchidee mit ihr an „Kung-fu master!“ (Die Zeit mit Julien, 1988) arbeitete, einer Geschichte über eine unmögliche Liebe zwischen einer vierzigjährigen Frau und einem fünfzehnjährigen Jungen, drehte sie mit Jacques Rivette, Alain Resnais, Jean-Luc Godard und Bertrand Tavernier.

In der öffentlichen Wahrnehmung jedoch trat ihre Arbeit als Schauspielerin mitunter in den Hintergrund (auch in den Nachrufen, die diese Tage erschienen). So wird Jane Birkin meist in Zusammenhang mit ihren Lebenspartnern und Kindern, die aus ihren drei Beziehungen hervorgingen (Kate Barry, Charlotte Gainsbourg, Lou Doillon), betrachtet und auf ihre Rolle als Stilikone reduziert. Andererseits arbeitete Birkin an ihrer Geschichtsschreibung und Mythologisierung ja auch mit: etwa wenn sie sich für Anzeigenkampagnen zur Verfügung stellte – zuletzt für das französische Modelabel A.P.C., das ihr eine Kollektion mit ihren ikonischen Key Pieces widmete –, oder wenn sie ihr privates Leben in die Filme hineintrug.


Eine Unterströmung ins Traurige

Dem Autoporträt oder vielmehr der Autofiktion am nächsten kommt sicherlich „Les Boites“ (2007), neben „Schläfst Du noch?“ (1992) ihre einzige Regiearbeit. Birkin spielt darin Anna, eine Frau um die fünfzig, die sich in ihrem neuen Heim in der Bretagne (Birkins eigenem Haus) von Geistern umgeben sieht. In teils absurden, teils schmerzhaften Gesprächen mit ihren Eltern, ihren drei Männern und Töchtern, wird sie mit allem konfrontiert, was sie noch immer mit sich herumschleppt: die Schuldgefühle gegenüber den Kindern, ihre Unsicherheit und Angst gegenüber ihrem ersten Ehemann (John Barry), die Abhängigkeit zu Gainsbourg, dessen Dauerpräsenz die Beziehung mit Doillon belastete, das Leiden unter Untreue und Verlassenwerden. Das Leichte, Flirrende, das Birkin in „Jane B. par Agnès V.” ausstrahlt, aber sich schon da mit einem Hang zu Retrospektion und nostalgischem Ziehen mischt, weicht bei allem Aberwitz einer Unterströmung ins Traurige, Schwere und einer großen Lust an Morbidität.

Bei der Premiere von "Jane by Charlotte" mit Charlotte Gainsbourg in Cannes (© Serge Arnal/IMAGO/Starface)
Bei der Premiere von "Jane by Charlotte" mit Charlotte Gainsbourg in Cannes (© Serge Arnal/IMAGO/Starface)

Auch „Jane by Charlotte“ (2021), das Porträt von Charlotte Gainsbourg, ist im Wesentlichen der Vergangenheit verhaftet. Einmal besucht Birkin, die von Schicksalsschlägen und einer Krebserkrankung gezeichnet ist, zusammen mit der Tochter die ehemalige Wohnung von Gainsbourg, in der sie selbst zwölf Jahre lebte. In den Aschenbechern liegen Zigarettenstummel, im Kühlschrank verrotten ein paar uralte Lebensmittel und auch die Kratzspuren, die ein Wutanfall einer Tochter am Tisch hinterließ, sind noch immer da. „Wie Pompeji“, flüstert Jane Birkin beim Anblick des Mausoleums. Lange bevor Jane Birkin am vergangenen Sonntag im Alter von 76 Jahren in Paris starb, waren der Tod und der Abschied ihre ständigen Gefährten.

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