© W-film

Partisan in Bewegung - Sobo Swobodnik

Ein Porträt des deutschen Dokumentaristen Sobo Swobodnik

Veröffentlicht am
29. August 2023
Diskussion

Der 1966 auf der Schwäbischen Alb geborene Filmemacher Sobo Swobodnik gehört zu den umtriebigsten deutschen Dokumentarfilmern. Meist übernimmt er sämtliche technischen Funktionen bei seinen Werken, die ihre Reduktion und Improvisationsbereitschaft bewusst ausstellen. Personenporträts wechseln dabei mit Langzeitbeobachtungen oder auch sehr persönlichen Arbeiten, doch letztlich eint sie alle der Wille, die Welt zu erschließen und verstehen zu wollen. Ein Porträt zum Start von Swobodniks neuestem Film „Geschlechterkampf – Das Ende des Patriarchats“.


Wenn man sein zurückliegendes, teils unter Pseudonymen entstandenes Werk betrachtet – 22 Romane, über ein Dutzend Theaterstücke beziehungsweise Inszenierungen und 21 sowohl thematisch wie stilistisch breitgefächerte Dokumentarfilme – so gilt für Sobo Swobodniks gesamte Karriere, was ihm schon ganz am Anfang, 1995, in einem Porträt in der Süddeutschen Zeitung bescheinigt wurde: dass die Unruhe sein Motor sei. Kurz zuvor hatte er das Literaturstipendium der Stadt München für eine Kindergeschichte („Loletta und das Müllplatzmonster“) erhalten und war auch mit seiner gehetzt-nervös-flackernden Verkörperung des Kettensägen-Freaks in Helmut Kraussers „Lederfresse“ am Theater links der Isar aufgefallen. Das Geld aus dem Stipendium „wanderte“ zum Teil in ein Kurzfilmprojekt über die Korruptions- und Bestechungsaffäre, die den CSU-Ministerpräsidenten Max Streibl zu Fall gebracht hatte.

Swobodnik ist auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen, in, wie er sagt, „erzkatholischer, ländlicher Umgebung. In einem Dorf mit ein paar Menschen und Feldern, Wiesen und Ställen“. Vater Rolladen-Monteur tschechischer Herkunft, Mutter Hausfrau. Das Abitur erkämpfte er sich über den zweiten Bildungsweg. Möglichst schnell verließ er das Elternhaus und gewöhnte sich binnen eines halben Jahres den schwäbischen Dialekt ab. Wie es dahin kam und wie es danach weiterging, verarbeitete er auf ungewöhnliche Art in seinem Film „Klassenkampf - Porträt einer sozialen Herkunft“ (2021). Ein Film aus vielen, als szenische Interventionen gestalteten Überlegungen: Wie es ist, als Junge zur Welt gekommen zu sein, der eigentlich ein Mädchen werden sollte. Wie es ist, in die Unterschicht, in die Klasse von Arbeitern, Handwerkern, Bauern und ungelernten Fabrikarbeiterinnen, Mitte der 1960er-Jahre in der westdeutschen Provinz hineingeboren zu werden und mehr oder weniger gar nicht anders zu können, als dort zu bleiben, wo man eben hinzugehören scheint.


Das könnte Sie auch interessieren:


Und wie es ist, sich dennoch der Beharrungskraft der Tradition entgegenzustellen und dank der „Fluchthilfe“ von Literatur, Theater und Kunst die Klasse, aus der man herkommt, zu verlassen, um in eine andere Klasse, die für lange Zeit fremd bleiben wird, zu wechseln. Didier Eribon hat davon in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ erzählt und diagnostizierte, dass es vier Generationen brauche, um diesen Klassenkampf eventuell (!) zu gewinnen.

In Swobodniks aktuellem Film "Geschlechterkampf" tritt die Schauspielerin Margarita Breitkreiz gegen das Patriarchat an (© Filmgalerie 451)
Swobodniks aktueller Film ist "Geschlechterkampf - Das Ende des Patriarchats" (© Filmgalerie 451)

Klassenkampf“ ist ein Film mit einer einzigen Darstellerin, Margarita Breitkreiz. Sie verkörpert das Dialogisieren der multiplen Ichs des Regisseurs untereinander kraftvoll und originell. Dazu trägt in zwischengeschalteten experimentellen Passagen die einnehmende Stimme von Lars Rudolph Wortgewaltiges von Sigmund Freud, Pierre Bourdieu und Annie Ernaux vor, während in weiteren Szenen Positionen aus gegenwärtigen identitätspolitischen Diskussionen wie Tennisbälle zwischen Breitkreiz und Breitkreiz hin- und herfliegen.

Ein Film wie ein schillernder Bastard: vorbehaltlos persönlich (wenn nicht gar privat) und zugleich, die unmittelbar biografische Ebene übermütig transzendierend, ein eigenwilliger Leinwandessay und darüber hinaus auch schönes Beispiel für die Methode eines vom russischen Kunsttheoretiker Michail Bachtin so genannten grotesken Realismus: „Während der klassische Realismus die Wirklichkeit darstellt, wie sie den Normen, einer kulturellen Ordnung nach sein sollte, so zeigt der groteske Realismus die Wirklichkeit, wie sie trotz dieser Ordnung existiert.“


Reduktion auf das Notwendige

Sobo Swobodnik ist ein „ungelernter Filmemacher“ – einer, der sich selbst als „autodidaktischer Quer-Seiten-Hintenrum-Einsteiger“ bezeichnet und dessen Filme nur durch radikale Beschränkung entstehen konnten. Sie sind Ausdruck einer bestimmten Mechanik, die sich, wie er es selbst nennt, „an der ‚Wabi-Sabi-Guerilla-Methode‘ orientiert und in etwa das Folgende bedeutet: Befreiung vom Überflüssigen. Also Reduktion auf das Notwendige. Also kleines Team, wenig Gewerke am Set, hohe Schlagzahl und schnelle Produktionsweise mit wenigen Drehtagen und geringem Budget. Unkonventionell, improvisatorisch und unter Verwendung von dem, was da ist. Also ein ebenso freud- wie friedvoller, aber unperfekter Purismus.“ Swobodniks Produktionsfirma heißt Guerilla Film Koop. Berlin. Die meisten seiner Filme wurden vom Partisan Filmverleih in die Kinos gebracht.

Das Bild des Partisanen steht für Beweglichkeit. Und Beweglichkeit in Bezug auf Themen oder filmische Artikulationsweisen stellt vermutlich die wesentliche Konstante in Swobodniks Werk dar. Man könnte auch sagen, dass es zwischen den Stühlen siedelt. So verträgt sich in seinem Werk auch die leise, geradezu impressionistisch anmutende Langzeitbeobachtung einer Berliner Straßenkreuzung („Lebe schon lange hier“, 2014/2015) aufs Wunderbarste mit der fetzigen Reportage über das Berliner RambaZamba-Theater („Ramba Zamba“, 2022/2023), in der Inklusion, Integration und Partizipation nicht nur Thema sind, sondern auch selbstverständlich gelebter Alltag.

Überhaupt bekennt Swobodnik selbstbewusst sein Fremdeln mit Traditionen, Schulen oder Stilen, „weil sie in der Regel apodiktisch und dogmatisch sind und der Freiheit die Butter vom Brot nehmen. Für mich gibt es nur zwei, sagen wir mal Referenzen, die für mein Filmemachen eine Rolle spielen. Die eine geht auf Adorno zurück: ‚Wertfreie Ästhetik ist Nonsens, Form ist sedimentierter Inhalt.‘ Die andere orientiert sich an einem Satz von Jean-Luc Godard (der Gottvater!) und heißt: ‚Kino ist ein Kinderspiel, das nur der spielen kann, der an keine Regeln glaubt.‘ Bei jedem Film, den ich mache, inhaliere ich diese beiden Sätze bis zum Abwinken, schmeiße sie dann über den Haufen und fange an.“

Von Swobodniks Berliner Wohnung aus gefilmt: „Lebe schon lange hier“ (© Partisan)
Von Swobodniks Berliner Wohnung aus gefilmt: „Lebe schon lange hier“ (© Partisan)

Am 28. Juli 2014 wurde bei Swobodnik während einer Routineuntersuchung ein lebensbedrohliches Aneurysma im Gehirn (Aussackung einer Hirnschlagader) diagnostiziert, das schleunigst operativ behandelt werden musste. Aufgrund von Größe, Form und Lage des Aneurysmas war zunächst nicht klar, ob und nach welcher Methode überhaupt würde operiert werden können. „Bastard in Mind“ (2019) erzählt von dem beängstigenden Befund und den darauffolgenden traumatischen Wochen bis zum Eingriff, in denen das Aneurysma jederzeit hätte platzen können. Ein Film, der einem als manisch assoziativer Bild- und Tonrausch (Sounddesign und Musik: Elias Gottstein) begegnet und zugleich das Resümee eines retrospektiv unternommenen Selbstversuchs ist.


Tod, Angst, Endlichkeit

„Ehrlich“, so Swobodnik, „wenn es in diesem Film nur um mich und mein kleines, beschissenes Leben ginge, wäre er völlig banal, überflüssig und mitnichten relevant. Da er aber, wie ich finde, um die wichtigsten Themen, nämlich die Frage nach dem Tod, die Angst und um die Endlichkeit, kreist, scheint er emblematisch für jedwedes Leben zu stehen.“

Immer wieder gibt sich Swobodnik hier auch als buñuelscher Atheist von Gottes Gnaden, denn erst in der Negation bricht sich die katholische Prägung aus seiner Kindheit richtig Bahn. Einmal fragt sich der Regisseur, ob vielleicht Beten gegen den unwillkommenen Gast im V4 Segment der linken Arteria vertebralis helfen würde: „Aber Beten kam nicht infrage. Ich hatte noch nie gebetet, zumindest jenseits des Kindesalters nicht. Ich hatte schon meine Contenance durch das Aneurysma verloren. Die Selbstachtung wollte ich auf jeden Fall behalten.“ Und als er erfährt, dass seine Mutter eine Messe für ihn lesen lassen will, räsoniert er: „Ich muss mein Testament ergänzen: keine Messen, keine Kirchen, kein Priester. Nichts, was im Entferntesten irgendwie ans Katholische erinnert. Dass das klar ist. Verdammt noch mal.“

„Bastard in Mind“ zeigt Swobodniks Umgang mit einer medizinischen Diagnose (© Partisan)
„Bastard in Mind“ zeigt Swobodniks Umgang mit einer medizinischen Diagnose (© Partisan)

Bereits vor seiner Aneurysma-Diagnose hatte Swobodnik einen Film über das Kloster Habsthal in Oberschwaben begonnen: Vier Nonnen, ein Geistlicher und 26 Schafe. Außerdem eine Kapelle, Hauswirtschaftsräume vor der Küche und dahinter ein Garten: „Silentium - Vom Leben im Kloster“ (2012-2015).

Zunächst sieht man nur schwarze Schemen, die über weiße Gänge huschen. Eine entsättigte Farbigkeit. Auf den Ruf der Gebetsglocke finden sich die Nonnen im Gebetsraum zusammen. Außer der Glocke, dem leicht schiefen liturgischen Gesang und dem Zwitschern der Amseln ist kaum etwas zu hören. Nur ab und an klingelt das Telefon, hin und wieder rattert eine Nähmaschine. Doch die Stille hat noch einen anderen Grund: Das Kloster hat kaum Nachwuchs. Durch die Szenen weht permanent das Gefühl der Endlichkeit, denn dieser kleinen Welt ist vermutlich keine Zukunft beschieden.


Das Eigene im Fremden finden …

Was faszinierte den Regisseur an dieser Atmosphäre von ora et labora und der Beobachtung des demütigen, kontemplativen Alltagslebens zwischen Eucharistiefeiern und der demütigen Pflege von Haus und Garten? „Am Ende haben alle Filme, wenn ich ehrlich bin, auch immer mit mir selbst zu tun. Wobei es vermutlich zwei Kategorien gibt. Auf der einen Seite versuche ich das Eigene im Fremden zu finden. In ‚Silentium‘ ist das die radikale Lebensweise der katholischen Nonnen, die ihr Leben einer einzigen Idee verschrieben haben; in ihrem Fall ist das ‚Gott‘. Für mich, der keineswegs gläubig ist, ist der Begriff austauschbar, man könnte dafür vielleicht auch zum Beispiel ‚Ideologie‘, ‚Kunst‘, oder ‚Kokolores‘ sagen, dem man sich mit Haut und Haaren verschreibt. Das ist latent auch in mir vorhanden, aber ich bin, glaube ich, nicht fähig, das in letztendlicher Konsequenz, in dieser Rigorosität und Radikalität so wie die Nonnen zu praktizieren. Deshalb fasziniert es mich umso mehr und bleibt doch ein Stück weit auch unerreichbar.“


… und das Fremde im Eigenen

Zur anderen Kategorie seiner Filme, der Suche nach dem Fremden im Eigenen, gehört sicher „Der Papst ist kein Jeansboy“. Mit seinem Porträt von Hermes Phettberg, Schauspieler, ehemaliger Kult-Moderator, gescheiterter Pastoralassistent und bekennender schwuler Sadomasochist, katapultierte sich Swobodnik 2011 unwiderruflich auf die Landkarte des deutschen Dokumentarfilms.

„Der Papst ist kein Jeansboy“ brachte Swobodnik den Durchbruch (© W-film)
„Der Papst ist kein Jeansboy“ brachte Swobodnik den Durchbruch (© W-film)

Was ein Sozial-Porno hätte werden können, wurde zur eindrucksvollen Inszenierung eines Kaspar Hausers der Gegenwart, der mehrere Schlaganfälle und einen Herzinfarkt überlebt hat, an akuter Blasenschwäche leidet, aber mental immer noch hyperaktiv ist und auch weiterhin seine Sex-Fantasien schonungslos offen thematisiert: Phettberg, der sich selbst als Elender und Scheiterhaufen bezeichnet; Phettberg, der mit Wortmacht gegen Sprachstörung kämpft; Phettberg als Gefangener zwischen Leben-Wollen und Sterben-Müssen. Ein Projekt als radikales Passionsspiel in Schwarz und Weiß.

Faszinierend an diesem filmischen Porträt ist der geradezu irre Spagat zwischen einer bis zur Selbstkasteiung reichenden Direktheit des Protagonisten und der kinematografischen dezenten Behutsamkeit, die sich der Regisseur im Moment des Zeigens auferlegt: Die in betörend schönem Schwarz-weiß aufgenommene Messie-Wohnung. Zwölf seriös typographierte Kapitelüberschriften, die sich aber wie ein wildes Alphabet des Cruising lesen. Dazu Josef Hader, der sehr zurückgenommen aus Phettbergs obszönen Offenbarungen liest.


Alles in einer Hand

Wie für die meisten seiner Filme zeichnete Swobodnik bei „Der Papst ist kein Jeansboy“ für Buch, Regie, Kamera, Produktion und Ton verantwortlich. Ist die Übernahme dieser vielen unterschiedlichen Funktionen bei seinen Filmen frei gewählt? „Wenn man selbst, ohne Filmförderung und Fernsehbeteiligung, also allein und mit eigenem Geld produziert, wie ich das sehr oft mache, bleibt einem kaum anderes übrig, als mehrere Funktionen und Gewerke zu bespielen und drastisch Kosten zu sparen. Bei der Bildgestaltung verhält es sich ein bisschen anders. Irgendwann stellte ich fest, dass ich als Regisseur kommunikative Schwierigkeiten habe, das, was ich gerne durchs Okular sehen würde, für eine Kameraperson zu übersetzen. Außerdem dauerte es mir bei dokumentarischen Stoffen auch viel zu lange. Wobei ich kein Kameramann bin, mich auch nicht als solchen bezeichnen wollen würde.“

In „Ramba Zamba“ geht es um das inklusive Berliner RambaZamba-Theater (© Partisan)
In „Ramba Zamba“ geht es um das inklusive Berliner RambaZamba-Theater (© Partisan)

Swobodniks Arbeiten machen den Anschein, als seien sie angstfrei oder unbelastet entstanden, als wären sie mit dem Rückenwind einer inneren Notwendigkeit in der Welt: „Ich bearbeite filmisch nur das, was mich tatsächlich im Leben umtreibt, herausfordert, fasziniert oder auch in die Verzweiflung treibt. Diese ganze Filmerei hat sicher auch etwas Therapeutisches, Klärendes und Reinigendes, damit man nicht völlig an diesem ganzen Wirklichkeitsgedöns zerbricht.“

Sieht sich Swobodnik als Universalist? „Herbert Achternbusch gilt mir als leuchtendes Beispiel. Er war ja auch Maler, Filmemacher, Autor. Er trägt die Fackel und weist den Weg. Es ist egal, ob es um Film, Literatur, Musik, Theater, Malerei geht – das sind mir alles liebgewonnene Hilfsmittel, Spielarten, manchmal unzureichende Surrogate von Ausdrucksmöglichkeiten, um mit dem ganzen Wirrwarr, das sich Leben nennt, irgendwie besser zurechtzukommen.“

Kommentar verfassen

Kommentieren