Der französische Regisseur Bertrand Blier verstand sich darauf, sein Publikum zu polarisieren. Die eine stöhnten über seinen Missmut, die andere lobten seine Zärtlichkeit und Originalität. Wie kaum ein anderer hatte er ein Gespür für das Abgründige, das er mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors aufspießte. Im Alter von 85 Jahren ist er jetzt in Paris gestorben.
Beinahe mit jedem seiner Filme löste der französische Regisseur Bertrand Blier zuverlässig einen Skandal aus. Dennoch konnte er sich in Frankreich eines Millionenpublikums sicher sein. Er entdeckte Gérard Depardieu, als der noch ein ungeschliffener Rohdiamant war, und wurde für seine eleganten, aber dennoch zupackenden Dialoge bewundert. Er schrieb Romane und Drehbücher für andere Regisseure und beherrschte in den 1970er- und 1980er-Jahre die Debatten um das französische Kino. Sein Publikum war dabei in der Regel gespalten. Die einen beklagten seine chronische Misanthropie. Die anderen lobten die Zärtlichkeit und Originalität seiner Inszenierungen.
Die
menschlichen Begierden
Das
Hauptthema in seinen rund 20 Filmen waren die menschlichen Begierden, die er
mit viel Sinn für das Abgründige und einer gehörigen Portion schwarzen Humors
aufspießte. Man konnte diese Tendenz schon erahnen, als er 1963 mit einem
Dokumentarfilm begann, in dem er junge Menschen von ihrem Leben und ihren
Liebesaffären erzählen ließ und diesen Film dann „Von Hitler keine Rede – Jugend 1963“ betitelte.
Der am 14. März 1939 in Boulogne-Billancourt im Département Seine geborene Bertrand Blier wuchs in der Filmcommunity auf; sein Vater war der äußerst populäre Bernard Blier, ein omnipräsenter Schauspielstar des französischen Kinos, den er in seinen Filmen auch einige Male besetzte. Sein Durchbruch gelang ihm 1974 mit dem Film „Die Ausgebufften“, den in Frankreich Millionen Zuschauer sehen wollten. „Der vorliegende Film besteht aus einer mehr oder weniger willkürlichen Aneinanderreihung von Straftaten der Helden“, notierte die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in ihrem Indizierungsbescheid. Dort reagierte man einigermaßen verständnislos gegenüber dem anarchistischen Reiz des Films, in dem Gérard Depardieu und Patrick Dewaere als junge Tunichtgute ihre Langeweile besiegen und unumwunden schnellen Sex suchen.
Neben der Entdeckung des jungen Depardieu als vielseitigem Naturtalent hatte auch Isabelle Huppert in „Die Ausgebufften“ einen frühen Auftritt. Blier war ein Schauspielerregisseur und entdeckte immer wieder neue Talente, die von da an gerne mit ihm arbeiteten. An Depardieu hielt Blier bis zum Ende fest und besetzte ihn immer wieder als Hauptdarsteller. Erst kürzlich veröffentlichte er ein Statement, in dem er den inzwischen durch seine Skandale zur „Persona non grata“ gewordenen Schauspieler gegenüber seinen Kritikern in Schutz nahm.
Depardieu ist auch der Hauptdarsteller in Bliers wesentlich geschmackvollerer, gleichwohl skandalträchtiger Drei- bis Viereckskomödie, zu der auch Sex mit einem 13-jährigen Jungen gehört. Unter dem Titel „Frau zu verschenken“ wurde die Komödie 1978 mit dem „Oscar“ für den besten ausländischen Film prämiert. Der stets beliebte Blier erhielt auch mit anderen Filmen mehrere französische Filmpreise.
Grober
Witz, krude Erotik & originelle Kniffe
Neben seinem Hang zu kruder Erotik und grobem Witz zeichneten sich seine Filme oft durch originelle dramaturgische Kniffe aus, etwa „Zu schön für Dich“ (1989), in dem sich Depardieu als unbelehrbarer Narr zu Schuberts Musik an der am Ende aussichtslosen Liebe zu Josiane Balasko abarbeitet. In „Der Klang von Eiswürfeln“ wird Jean Dujardin buchstäblich vom Krebs verfolgt, der eines Tages bei ihm klingelt und ihn in der Person des Schauspielers Albert Dupontel verfolgt. Wie viele seiner originellen Ideen sind das klassische Elemente des Boulevardtheaters.
Bertrand
Blier ist aber auch Romanschriftsteller. Wenn er nach eigenem Bekenntnis manchmal
auch „um der Provokation willen“ provoziert habe, traf Blier mit seinen
furchtlosen Entlarvungen der bürgerlichen Doppelmoral stets ins Schwarze. In
seinem letzten Film „Convoi exceptionnel“ (2019), in dem er Gérard Depardieu und Christian Clavier
auf die letzte Reise ihres Lebens schickt, handelt er auch dieses Thema so ab,
wie sein Publikum von ihm gewohnt war. Die beiden Protagonisten besitzen
nämlich ein Drehbuch ihrer letzten Tage, das ihnen überhaupt nicht gefällt und
arbeiten sich humorvoll daran ab.
Ein
Misanthrop voller Zärtlichkeit
„Dieses Drehbuch ist richtig scheiße“, sagt Depardieu einmal. Damit verabschiedete sich auch Bertrand Blier von der Welt, als „Misanthrop voller Zärtlichkeit“. So hat ihn auch Brigitte Macron, die Frau des französischen Staatspräsidenten, in ihrem Abschiedsgruß bezeichnet. Dem kann man sich getrost anschließen. Bertrand Blier verstarb am 20. Januar 2025 in Paris.