Drama | Deutschland 2012 | 95 (24 B./sec.)/92 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Stefan Schaller

Ende des Jahres 2001 wurde der Deutsch-Türke Murat Kurnaz als vermeintlicher Terrorist in Pakistan verhaftet und nach Guantanamo verschleppt. Im Zentrum des inszenierten Gefängnisdramas steht das Psycho-Duell zwischen Kurnaz und einem US-amerikanischen Verhörspezialisten, der mit perfiden Methoden ein Geständnis zu erpressen versucht. Auch die Praktiken und Folgen von Isolationshaft, Folter und Willkür spart der Film nicht aus. In den Hauptrollen eindringlich gespieltes Regiedebüt, das die Unmenschlichkeit und Absurdität des Guantanamo-Systems deutlich macht und den Verlust von Rechtstaatlichkeit beklagt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
teamWorx/Filmakademie Baden-Württemberg/StudioBabelsberg/Cine Plus
Regie
Stefan Schaller
Buch
Stefan Schaller
Kamera
Armin Franzen
Musik
Enik
Schnitt
Simon Blasi
Darsteller
Sascha Alexander Gersak (Murat Kurnaz) · Ben Miles (Gail Holford) · Trystan Pütter (Collins) · John Keogh (Smith) · Timur Isik (Akhmal)
Länge
95 (24 B.
sec.)
92 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
23.05.2013
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Gefängnisfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Zorro (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Intensives Guantanamo-Drama um den inhaftierten Murat Kurnaz

Diskussion
Das US-Gefangenlager Guantanamo ist noch immer ein erschreckendes Symbol für das Scheitern eines Rechtsstaates, der Völkerrecht und Genfer Konvention missachtet. Ein Skandal umso mehr, als Präsident Obama wegen des Widerstandes im Senat sein Wahlversprechen nicht einlösen konnte, das Gefängnis zu schließen. Jüngst sorgt Guantanamo wieder für Schlagzeilen, weil Häftlinge in Hungerstreik traten, um auf die unmenschlichen Haftbedingungen aufmerksam zu machen. Stefan Schaller (Jahrgang 1982) hat sich mit seinem Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg des Falls von Murat Kurnaz angenommen, der fünf Jahre als Gefangener der USA in Afghanistan und Guantanamo inhaftiert war – ohne Indizien, ohne Schuldnachweis oder Geständnis. Dass auch deutsche Behörden, vom Außenministerium bis zum Verfassungsschutz, dabei eine mehr als unglückliche Rolle spielten, weil sie die rasche Abschiebung des Deutsch-Türken verhinderten, streift Schaller nur am Rande. Ihm geht es um die Willenskraft, um das psychische und physische Überleben eines Mannes unter unmenschlichen Bedingungen, unter Folter und Isolationshaft. „Fünf Jahre Leben“ zeigt aus einer Innenansicht, was in Guantanamo täglich geschieht. Schaller belegt damit eine bestechende, in der Öffentlichkeit aber kaum diskutierte These: In Guantanamo geht es nicht um Schuld oder Unschuld, sondern darum, Geständnisse zu erpressen, die im Nachhinein die Existenz des Gefangenenlagers rechtfertigen sollen. Kurnaz war 1725 Tage in Haft. Der absurde, fast schon bizarre Grund: Er hat kein Geständnis abgelegt. Sonst wäre die bisherige Haft, so die schlichte Logik, die dem System innewohnt, sinnlos gewesen. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich Schaller auf die ersten eineinhalb Jahre von Kurnaz’ Haft. Der Film beginnt mit der Ankunft in Guantanamo. Noch ist die Leinwand dunkel, schweres Atmen ist zu hören, das Murmeln einer Männerstimme, die lauten Kommandos der US-Soldaten. Dann werden die Gefangenen, denen man schwarze Stoffsäcke über den Kopf gestülpt hat, in ihre Zellen geführt. Zellen, die Käfigen gleichen. So ist der Einzelne stets sichtbar, und der Willkür der Wärter ausgesetzt. Später dann ein karger Verhörraum. Kurnaz, eindringlich dargestellt von Sacha Gersak, werden Schlagworte wie „Afghanistan“, „Taliban“ und „Selbstmordattentäter“ an den Kopf geworfen. Das Psycho-Duell mit dem CIA-Agenten Gail Holford, der mit Anzug und weißem Hemd gar nicht hierher zu passen scheint, rückt ins Zentrum. Holford bietet sich Kurnaz als Freund an, der ihm helfen wolle. In Wahrheit ist er ein kühl operierender, skrupelloser Verhörspezialist, der auch vor übertriebenen Inszenierungen wie einer vermeintlichen Freilassung im bereitgestellten Hubschrauber nicht zurückschreckt. Unterbrochen werden diese Szenen gelegentlich von Rückblenden in Kurnaz’ Vergangenheit: Türsteher einer türkischen Diskothek in Bremen, der Tod eines Freundes bei einer Messerstecherei, die Hinwendung zum Islam, schließlich der Plan, in Pakistan eine Koranschule zu besuchen. Schaller zeigt auch das Misstrauen unter den Gefangenen. Jeder könnte ein Spitzel sein, dem CIA zuarbeiten. Die Wärter erfinden absurde Verbote, um bei Zuwiderhandlung einen Grund für Prügel zu haben. Schlimmer aber ist die Isolationshaft in speziell, durch Panzerglas stets einsehbaren kleinen Räumen, in denen sich die Temperatur extrem ändern lässt oder die Gefangenen mit lauter Musik (von Country bis Heavy Metal) traktiert werden. Die Qualen der Gefangenschaft – Hitze, Kälte, Lärm, Demütigung und Erniedrigung – werden körperlich spürbar. Dem arbeitet auch die Kamera zu, indem sie die Räume immer enger und klaustrophobischer macht und den Blick nach draußen verweigert. Hier gibt es kein Entkommen. Gelegentlich nimmt Schaller auch Anleihen beim Genre des Gefängnisfilms. So kümmert sich Kurnaz um einen Leguan, der ihn gelegentlich besucht. Wie in „Papillon“ (fd 18 656) oder „Der Gefangene von Alcatraz“ (fd 11 461) fungiert das Tier als Symbol der Freiheit. Eine Freundschaft, die es nicht weiter darf. Wie Kurnaz zur Lösung dieses Konfliktes gezwungen wird, gehört zu den beklemmendsten Szenen des Films. Das eindringliche Drama schildert anhand eines Einzelschicksal die Unmenschlichkeit, aber auch die Absurdität des Systems „Guantanamo“ und verweist somit indirekt darauf, wie sehr sich das Rechtsverständnis in Amerika nach dem 11. September 2001 verändert hat. Mit der Abreise Holfords endet der Film. Dass Murat Kurnaz' Leiden noch weitere dreieinhalb Jahre dauerte, macht „Fünf Jahre Leben“ zu einer beklemmenden Kinoerfahrung.
Kommentar verfassen

Kommentieren