Serie | USA 2022 | (8 Folgen) Minuten

Regie: Olivier Assayas

Eine von ihrer Karriere und dem Leben desillusionierte US-amerikanische Schauspielerin kommt nach Paris, um die Hauptrolle in einer Serie zu spielen, die auf dem französischen Stummfilmklassiker „Die Vampire“ (1916) fußt. Die chaotischen Dreharbeiten, ein verzweifelter Regisseur, mächtige Produzenten und Geldgeber sowie der auf allem lastende Mythos der berühmten Vorlage erzeugen einen gewaltigen Sog an Konflikten, der jenseits herkömmlicher Seriendramaturgien entfaltet wird. Die achtteilige Serie geht ihrerseits auf den cinephilen Kultfilm „Irma Vep“ (1996) zurück und entfaltet ein faszinierendes Spiel mit unzähligen Realitätsebenen, in denen kitschige Beziehungskisten auf essayistische Meta-Reflektionen und die zeitgenössische Bildkultur treffen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IRMA VEP
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
A24/Little Lamb
Regie
Olivier Assayas
Buch
Olivier Assayas
Kamera
Yorick Le Saux · Denis Lenoir
Musik
Thurston Moore
Schnitt
François Gédigier · Simon Jacquet · Marion Monnier
Darsteller
Alicia Vikander (Mira) · Vincent Macaigne (René Vidal) · Adria Arjona (Laurie) · Jeanne Balibar (Zoe) · Lars Eidinger (Gottfried)
Länge
(8 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Serie
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Achtteilige Serie über Dreharbeiten in Paris, bei denen der Stummfilmklassiker „Die Vampire“ von Louis Feuillade als Fernsehserie adaptiert werden soll, was zum Spiel mit unzähligen Realitätsebenen und essayistischen Meta-Reflexionen Anlass gibt.

Diskussion

Wer mit dem jüngeren Werk von Olivier Assayas vertraut ist, wird sich schnell heimisch fühlen in der achtteiligen Serie „Irma Vep“, die vorgibt, ein Remake seines gleichnamigen Films aus dem Jahr 1996 zu sein, der seinerseits vorgab, ein Remake des Klassikers „Die Vampire“ von Louis Feuillade aus den Jahren 1915/16 zu sein. Schachtelsätze lassen sich bei der Beschreibung dieser Serie kaum vermeiden, denn Assayas errichtet ein in den Himmel wachsendes Hochhaus aus doppelten Böden. Das gilt sowohl für die verschiedenen Realitätsebenen innerhalb der Serie als auch für jene zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Wie in seinem Spielfilm „Zwischen den Zeilen“ verbindet er dabei trashig bis billig anmutende melodramatische Versatzstücke mit vielschichtigen, essayistischen Meta-Reflektionen über den Zustand der westlichen Kultur. „Gossip Girl“ trifft Jean-Luc Godard, würde man schreiben, wenn man cool klingen wollte. Das alles wirkt anstrengend, ist aber ziemlich faszinierend. Zumindest wenn man etwas für die digitale Welt und das Kino übrighat.

Katzengleiche Nachtdiebin im Gefühlschaos

Alles dreht sich um die Arbeit an einer Serien-Adaption von „Irma Vep“. Hauptdarstellerin Mira (Alicia Vikander) spielt sonst eher in Superheldenfilmen und muss sich in der kleineren Welt der französischen Produktion erst zurechtfinden. Zudem trägt sie allerlei Ballast aus vergangenen Beziehungen mit sich. Ihre ehemalige Assistentin Laurie (Adria Arjona) spielt mit ihren Gefühlen, und ihr Ex-Freund Eamonn (Tom Sturridge) dreht zufällig auch gerade in Paris. Außerdem gibt es da einen Flirt mit der Kostümbildnerin Zoë (Jeanne Balibar) und eine generelle Verlorenheit, die sich auch darin äußert, dass Mira mehr und mehr mit ihrer Rolle als katzengleiche Nachtdiebin verschmilzt. Das gefällt dem exzentrischen Regisseur René Vidal, der vom famosen Vincent Macaigne fast schon als eine Parodie von Assayas und dessen Art zu Sprechen angelegt wird und der zwischen Wutanfällen, Selbstzweifeln, Enthusiasmus und einer in die Extreme gehenden Vision ebenso verloren ist, so sehr, dass er irgendwann verloren geht.

Das gilt auch für den deutschen Starschauspieler Gottfried, den Lars Eidinger mit paffender E-Zigarette stetig ins Nirwana bläst. Gottfried spielt den Bösewicht Moreno mit perverser, irgendwie auch lächerlicher Lust, und Eidinger brilliert in einer großartigen Krankenhausflucht samt Duschhaube und mit in die unbequeme Unerträglichkeit der Dinge, weit ins rechte Spektrum des Denkens hineingelaberten Provokationen. Es gibt noch einige Charaktere mehr, etwa den in seiner Eitelkeit gekränkten Hauptdarsteller Edmond (Vincent Lacoste) oder die idealistische Regieassistentin Carla (Nora Hamzawi).

Meta-Reflexionen bis zur Decke

Assayas tut gut daran, ab und an zu zeigen, warum nicht alles an dieser Serie und in der Serie auseinanderfällt. Geld, das Interesse von Sponsoren und Assistentinnen, die die eigentliche Arbeit verrichten, ermöglichen das, was eigentlich unmöglich scheint, da bleibt Assayas Realist.

„Irma Vep“ fragt sich und das Publikum äußerst verspielt, ob Louis Feuillade im Jahr 2022 eine Chance hätte. Damit setzt die Serie genau dort an, woran sich bereits der Film „Irma Vep“ aus den 1990er-Jahren abarbeitete. Nur dass sich das Kino und die Welt seither sehr verändert haben. Statt der globalisierten Filmwelt, die Assayas in den 1990er-Jahren thematisierte, sind es heute Sponsoren und Streamingdienste, die den Markt dominieren. Fast schon penetrant werden digitalisierte Sequenzen aus Feuillades Stummfilmreihe auf Mobiltelefonen gestreamt; wiederholt vergleichen die Figuren die dominante Bildkultur heute mit jener der 1910er-Jahre. Irma Vep wird eine Art Superheldin, es geht um #metoo, Werbedeals, Instagram, Blockbuster und Streaming. Meta-Reflexionen bis zur Decke.

„Irma Vep“ ist das Produkt einer Welt, in der Schauspieler auch Blogger sind, Filmemacher Kolumnen schreiben und alle stets zu allem etwas sagen müssen. Ein wenig mutet das alles wie ein ungesunder Nachmittag auf Twitter an. Man hätte das Handy schon längst weglegen sollen, schaut aber weiter und weiter. Damit wird „Irma Vep“ zu dem, was sie thematisiert. Was deutlich leichter aussieht, als es ist.

Ein Anfang, eine Mitte und kein Ende

Stilistisch bleibt sich Assayas treu; er kann offensichtlich nicht anders. Seine dynamische Handkamera erzeugt gemeinsam mit der grandiosen Musik (Introsong: Ya Habibti – Mdou Moctar, Soundtrack: Thurston Moore) einen Sog, der aus dem Fortschreiten der Zeit eine Dramaturgie ohne große Überraschungen filtert, auch wenn sich die Narration spätestens ab der fünften Episode stark verdichtet.

Im Gegensatz zu seiner anderen Mini-Serie „Carlos - Der Schakal“ arbeitet Assayas aber durchaus mit für Serien typischen Cliffhangern, auch wenn sie nicht unbedingt am Ende der Folgen auftauchen. Frei nach Godard: eine Serie braucht einen Anfang, eine Mitte und kein Ende. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Gerade die Beziehung von Mira zu Laurie bildet ein sich fortsetzendes Gerüst, an dem sich jene, die nicht so gern verloren gehen wie die Protagonisten, festhalten können.

In Interviews Mitte der 1990er-Jahre sprach Assayas viel von Marcel Proust und wie der daran interessiert sei, das eigene Leben in seiner Kunst zu übersetzen. Inzwischen hat er beides ununterscheidbar vermengt. Die Non-Fiction-Krankheit, die seinen Protagonisten in „Zwischen den Zeilen“ befällt, also die beständige Verarbeitung privater Ereignisse in der Kunst, scheint auch von Assayas Besitz ergriffen zu haben. Selten war eine von einem großen amerikanischen Fernsehsender finanzierte Serie so narzisstisch. So lässt sich Regisseur René in einer langen Sequenz bei seiner Psychologin über die Schwierigkeit aus, ein Remake des eigenen Films zu realisieren, und fällt dann in eine Erinnerung an seine Liebe zur damaligen Hauptdarstellerin, die in der Serie Jade heißt und in der Wirklichkeit Maggie Cheung. Assayas war mit Cheung verheiratet. Er zeigt sie noch einmal, wie sie im Lederkostüm über die Dächer von Paris klettern; eine Nabelschau sondergleichen. René seufzt. Ach ja, das Leben. Man muss das nicht interessant finden, nein. Aber Assayas (oder Macaigne) kennt auch die Würde, die in der Selbstironie liegt. Zum Glück!

Drehen, weil die Welt sich dreht

Hier ist ein Filmemacher, der sich und alles obsessiv aus dem Hier und Jetzt zu betrachten versucht. Man muss sich Assayas als jemanden vorstellen, der Filme (oder eben Serien) macht, um zu spüren, dass es ihn wirklich gibt. Wenn man möchte, spürt man dabei auch, dass man selbst existiert.

Dementsprechend kann „Irma Vep“ auch nicht ganz verstecken, dass das eigentliche Interesse dem Regisseur gilt und nicht der Hauptdarstellerin. Das dürfte bei einem an Serien geschulten Publikum durchaus für Irritationen sorgen, aber genau darum geht es ja. Assayas hinterfragt das Medium, in dem er dreht. Eigentlich kommt sein Ansatz etwas spät. Gibt es wirklich noch Bedarf oder gar einen Hunger, über Serien und ihre Wirkweisen nachzudenken? Vieles wirkt schon arg durchgekaut.

Vor zwei Jahren wurde Assayas von der belgischen Website Sabzian eingeladen, über den Status Quo des Kinos zu sprechen. Aus Sicht von „Irma Vep“ ist dieser Vortrag ein Begleittext. Hinter der Serie, aber auch hinter der Serie in der Serie verbirgt sich die Frage nach dem Warum. Warum heute noch Filme machen? Warum eine Serie drehen?

Die Antwort, die „Irma Vep“ findet, ist ernüchternd und befreiend zugleich. Denn selbst wenn man sich des gleichen Stoffs annimmt, entsteht etwas gänzlich Neues, ganz allein deshalb, weil die Welt sich verändert. Man dreht also, weil die Welt sich dreht. Um sich selbst bekanntermaßen.

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