Alle behindert, oder was?
Anscheinend gibt es Menschen mit und ohne Behinderung. Die mit haben ein Handicap; die ohne merken nur nicht, dass sie auch mit Einschränkungen kämpfen. Manchmal helfen Filme, mit und ohne zu überwinden.
„Bist Du behindert, oder was?“, galt unter jungen Menschen eine Weile als geläufige Floskel, wenn man jemanden in die Schranken weisen wollte. Körperliche oder geistliche Einschränkungen von Menschen wurden als gedankenlose Distanzierungen missbraucht, in denen sich der gesellschaftliche Ungeist widerspiegelte.
Auch im Kino war es für Menschen mit Handicaps ein steiniger Weg, um als echte Figuren und nicht bloß als dramaturgische Aufhänger einen Platz zu finden. Vor allem im Kinder- und Jugendfilm hat sich hier aber eine Menge getan. Menschen mit und ohne Behinderungen tauchen hier immer wieder als Protagonisten auf, die alle mit den ein oder anderen Einschränkungen zu kämpfen haben. Besonders herausfordernd wird dies fürs Publikum, wenn das Leben mit Handicaps als normal und das Dasein der andere als unvertraut oder fremd empfunden wird.
Manchmal gelingt es sogar, neue Perspektiven zu eröffnen, thematisch wie ästhetisch. Im besten Fall erzählen diese Filme dann von einer Annäherung oder sogar der Überwindung von Vorurteilen und vermittelt ein Verständnis für Toleranz, Offenheit und Respekt den anderen Menschen gegenüber.
Deutschland 2013 | R: Bernd Sahling | Mit: Marcel Hoffmann
Kopfüber
Bei einem zehnjährigen Jungen in Jena, der ein richtiger Zappelphilipp ist und noch immer nicht schreiben und lesen kann, wird die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung ADHS diagnostiziert. Das Medikament Ritalin verändert seine Persönlichkeit jedoch so sehr, dass er nicht einmal mehr mit seiner Freundin um die Häuser ziehen will. Anrührend, dicht an der Realität und ohne in stereotype Erklärungsversuche zu verfallen, erzählt der Film von einem Kind, das um sein Lachen kämpft. Die mutige Inszenierung setzt weitgehend auf Laiendarsteller und fordert durch ihre offene Dramaturgie zum eigenständigen Mitdenken heraus. Alles andere als ein leichter Film, belohnt er Kinder wie Erwachsene zugleich durch seine bestechend ehrliche Erzählweise. - Sehenswert ab 10.
Deutschland 2014 | R: Neele Leana Vollmar | Mit: Anton Petzold
Rico, Oskar und die Tieferschatten
Deutschland 2010 | R: Andi Rogenhagen | Mit: Jasna Fritzi Bauer
Ein Tick anders
Eine 17-Jährige, die unter dem "Tourette"-Syndrom leidet, gerät auf die schiefe Bahn, als ihr Vater arbeitslos wird und sie die Familie vor dem Ruin retten will. Die zwischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenfilm schwankende Inszenierung weiß die Protagonisten zwar skurril zu porträtieren, verengt den Blick auf das "Tourette"-Syndrom aber allzu sehr auf eine Aneinanderreihung obszöner Wortschwalle. Während sich die Dramaturgie oft in Nebensträngen verliert, berühren die erfrischenden Darsteller und die poesievolle Kamera. - Ab 14.
USA 2021 | R: Sian Heder | Mit: Emilia Jones
Coda
Japan 2020 | R: Kôtarô Tamura
Josie, der Tiger und die Fische
Ein Meeresbiologie-Student bewahrt eines Tages eine junge Frau im Rollstuhl vor einem Unfall und wird von deren übervorsichtiger Großmutter als Aufpasser engagiert. Das führt zunächst zu vielen Reibungen, da sich die Frau gegen die Überwachung wehrt, doch als der junge Mann beginnt, ihr entgegen seinen Anweisungen die Welt außerhalb ihres Hauses zu zeigen, erwärmen sie sich füreinander. Ein mit zärtlichem Blick und warmen Farben umgesetzter Anime, der in heftigen Gefühlswelten schwelgt und einen Hang zum Melodram zeigt, durch seine sensibel entworfenen Figuren aber für sich einnimmt. - Ab 14.
Frankreich 2015 | R: Olivier Ringer | Mit: Clarisse Djuroski
Zugvögel - Wenn Freundschaft Flügel verleiht
Durch einen Zufall prägt sich ein Entenküken nach dem Schlüpfen auf ein kleines Mädchen, das wegen einer Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt. Als die Eltern das Tier auf eine Geflügelfarm abschieben wollen, bricht die menschliche Entenmutter mit ihrer besten Freundin auf, um dem Küken ein würdiges Zuhause in einem Vogelparadies zu verschaffen. Eindrücklicher, emotional überschwänglicher Kinder-Abenteuerfilm, der vom Erwachsenwerden und der Relativität des Begriffs „Behinderung“ erzählt. Auf ergreifende Weise wirbt er dafür, Kindern mehr Verantwortungsbewusstsein zuzugestehen. - Sehenswert ab 8.
Deutschland 2016 | R: Evi Goldbrunner | Mit: Luis Vorbach
Auf Augenhöhe
Österreich 2012 | R: Hüseyin Tabak | Mit: Enzo Gaier
Das Pferd auf dem Balkon
Ein zehnjähriger Junge in Wien, der am Asperger-Syndrom leidet, entdeckt auf dem Balkon eines Nachbarn, einem jungen, hochverschuldeten Mathematiker, ein Rennpferd, mit dem er sich anfreundet. Von da an lernt er, wie man das Leben konkreter anpackt, muss zuvor aber manche Hürde überwinden und sogar gegen zwei Gauner antreten. Eine unterhaltsame Entwicklungsgeschichte mit märchenhaften Elementen, Spannung, Tempo und Witz. Je länger der Kinderfilm mit Genremustern spielt und sich die überraschenden Wendungen zu überschlagen beginnen, desto mehr verschwindet der sympathische Junge aber hinter seinen Versuchen, das „wahre Leben“ zu bewältigen. Darunter leidet die Sorgfalt der Charakterisierung, zumal sich der Film nicht genügend Zeit nimmt, die Veränderungen des gehandikapten Jungen stimmiger auszumalen. - Ab 8.
Deutschland 2013 | R: Bernd Sahling | Mit: Marcel Hoffmann
Kopfüber
Bei einem zehnjährigen Jungen in Jena, der ein richtiger Zappelphilipp ist und noch immer nicht schreiben und lesen kann, wird die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung ADHS diagnostiziert. Das Medikament Ritalin verändert seine Persönlichkeit jedoch so sehr, dass er nicht einmal mehr mit seiner Freundin um die Häuser ziehen will. Anrührend, dicht an der Realität und ohne in stereotype Erklärungsversuche zu verfallen, erzählt der Film von einem Kind, das um sein Lachen kämpft. Die mutige Inszenierung setzt weitgehend auf Laiendarsteller und fordert durch ihre offene Dramaturgie zum eigenständigen Mitdenken heraus. Alles andere als ein leichter Film, belohnt er Kinder wie Erwachsene zugleich durch seine bestechend ehrliche Erzählweise. - Sehenswert ab 10.
Deutschland 2017 | R: Hella Wenders
Schule, Schule - Die Zeit nach Berg Fidel
Belgien 2007 | R: Nic Balthazar | Mit: Greg Timmermans
Ben X
Ein 17-jähriger Jugendlicher mit autistischen Störungen versucht, seinem Alltag durch Fluchten in eine Cyber-Kampfwelt zu entkommen, und bietet seinen realen Peinigern mit Hilfe einer virtuellen Freundin und dem Vater, der sich spät auf seine Pflichten besinnt, Paroli. Verfilmung eines belgischen Erfolgsromans und Bühnenstücks, die durch die Verknüpfung von Realszenen und Online-Elementen überzeugend Atmosphäre schafft. Zugleich macht er Betroffenen Mut, ihre jeweilige soziale Situation nicht mit Fatalismus hinzunehmen, sondern durch selbstbewusstes Handeln zu überwinden. - Sehenswert ab 14.
USA 2020 | R: Jerry Rothwell
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann
Italien 2019 | R: Stefano Ciprani | Mit: Alessandro Gassman
Mein Bruder, der Superheld
Ein Junge glaubt erst, dass es sich beim Down-Syndrom seines kleinen Bruders um eine Superkraft handelt und ist nach der Entdeckung der Wahrheit bitter enttäuscht. Zwar hängt er bald wieder an seinem Bruder, doch als er sich als Jugendlicher auf einer neuen Schule erstmals verliebt, will er dessen Existenz unbedingt geheim halten. Humorvoller Familienfilm, der einfühlsam von einer liebevollen Geschwisterbeziehung und der Furcht vor Ausgrenzung erzählt. Ohne Illusionen über die Herausforderungen des innerfamiliären Zusammenlebens zu verbreiten, wirbt der Film mit viel Herzlichkeit für die Überwindung von Vorurteilen und Ängsten. - Ab 12.
Deutschland 2022 | R: Sonja Heiss | Mit: Arsseni Bultmann
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Deutschland 2015 | R: Theresa von Eltz | Mit: Paula Beer
4 Könige
Deutschland 2017 | R: Tom Lass | Mit: Naomi Achternbusch
Blind & Hässlich
Frankreich 2014 | R: Éric Lartigau | Mit: Karin Viard
Verstehen Sie die Béliers?
Frankreich 2016 | R: Anne-Dauphine Julliand
Kleine Helden
Dokumentarfilm über fünf Kinder, die mit so schweren Krankheiten kämpfen, dass ihre Leben nicht lange währen werden. Doch es geht nicht um ihr Leiden, sondern um die Kunst, wie sie ihr kompliziertes Schicksal meistern. Der auf Augenhöhe der Kinder in fünf parallelen Strängen erzählte Film konzentriert sich auf die kostbaren Momente und handelt trotz seines tieftraurigen Themas von Freude, Spaß und Glück. Seine unsentimentale Lebensbejahung hat auch mit den Erfahrungen der Regisseurin zu tun: Sie war selbst Mutter eines schwerkranken Kindes. - Sehenswert ab 10.
Deutschland 2003 | R: Bernd Sahling | Mit: Ricarda Ramünke
Die Blindgänger
Ein 13-jähriges Mädchen und seine Freundin leben in einem Internat für Blinde. Beide lieben die Musik. Ihre Versuche, in einer Band von "Guckis" mitzuwirken, scheitern. Die Mädchen lassen sich jedoch nicht entmutigen, sondern treten zusammen mit einem jungen Russlanddeutschen auf, um für diesen das Geld für die Heimreise nach Kasachstan zu verdienen. Herausragender Film über die Welt sehbehinderter Teenager, der nicht in Mitleid schwelgt, sondern eine frische, mit selbstironischem Humor erzählte Geschichte zweier Teenager bietet, die mit Leidenschaft und Mut ihren eigenen Weg gehen. - Sehenswert ab 10.
Schweden 2011 | R: Lena Koppel | Mit: Sverrir Gudnason
Die Kunst sich die Schuhe zu binden
Ein glückloser Schauspieler ohne Job wird vom Arbeitsamt an eine Gruppe geistig Behinderter vermittelt. Zunächst widerwillig, dann aber mit wachsender Begeisterung hilft er seinen Schützlingen, ihre wahre Stärke zu entdecken: das Singen und Spielen auf der Bühne. Als er die Truppe für eine Talentshow im schwedischen Fernsehen anmeldet, zieht er einen Sturm der Entrüstung auf sich. Eine sympathisch-arglose Komödie, die den Behinderten einen adäquaten Raum einräumt, während sie dramaturgisch eher in recht überschaubaren Bahnen verbleibt. - Ab 12.
Norwegen 2006 | R: Bård Breien | Mit: Fridtjov Såheim
Die Kunst des negativen Denkens
Ein durch einen Unfall querschnittsgelähmter 30-Jähriger macht seiner Frau das Leben zur Hölle. Abhilfe soll eine Therapiegruppe unter Leitung einer frohgemuten Sozialarbeiterin bieten. Doch die hohen Dosen an positivem Denken, die sie ihren Patienten verordnet, schlagen beim neuen Mitglied nicht an. Vielmehr unterwandert es die gute Laune und enttarnt Lebenslügen. Eine schwarze Komödie, die in ihrer "politischen Unkorrektheit" allerdings etwas selbstgefällig und vorhersehbar daherkommt. - Ab 16.