- | Frankreich/Deutschland/Portugal 2008 | 121 Minuten

Regie: Werner Schroeter

In einer portugiesischen Stadt im Belagerungszustand, in der Milizen der Geheimpolizei marodieren und in den Straßen Leichen liegen, sucht ein Arzt und Widerstandskämpfer seine verschwundene Geliebte, eine politische Journalistin, kann sich über ihren Verbleib aber keine Klarheit verschaffen. Werner Schroeter setzt ganz auf die Situation, nicht auf Handlung oder Spannung, und verdichtet die verstörenden episodischen Szenen zu einem stilisierten multimedialen Gesamtkunstwerk, bei dem sich in einem Rausch der Farben und Gefühle Film, Theater, Tableaux vivants, Oper und Fado kunstvoll durchdringen. Hinter der düster-apokalyptischen Bilderwelt scheint dabei ein Hoheslied der Liebe und der Sehnsucht auf. - Sehenswert ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
NUIT DE CHIEN
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Portugal
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Alfama Films/Filmgalerie 451/Clap Filmes
Regie
Werner Schroeter
Buch
Gilles Taurand · Werner Schroeter
Kamera
Thomas Plenert
Musik
Eberhard Kloke
Schnitt
Julia Grégory · Bilbo Calvez
Darsteller
Pascal Greggory (Ossorio) · Jean-François Stévenin (Martins) · Marc Barbé (Vargas) · Bruno Todeschini (Morasan) · Eric Caravaca (Vilar)
Länge
121 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 18.
Externe Links
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Heimkino

Die umfangreichen Extras der Doppel-DVD enthalten u.a. ein Interview mit dem Regisseur sowie ein alternatives Filmende.

Verleih DVD
Filmgalerie451 (16:9, 1.78:1, DD2.0 frz./dt.)
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Diskussion
Werner Schroeters Film ist ein Shakespeare-Zitat vorangestellt: „Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das größte, dass sich die Menschen fürchten; da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal aller, kommt, wann er kommen soll.“ Die Schrecken des 20. Jahrhunderts, eine Stadt im Belagerungszustand. Die Armee zögert den Einmarsch noch hinaus. In der Stadt marodieren die Milizen der Geheimpolizei, die Straßen liegen voller Leichen. Alte Rechnungen werden im Angesicht des angekündigten Todes beglichen, aber auch die ersten Jobs für die Zeit danach vergeben. Der Arzt und Widerstandskämpfer Ossorio Vignale durchstreift die Kaschemmen, Hotels und Folterkeller der Stadt auf der Suche nach seiner verschwundenen Geliebten Clara. Diese arbeitete als politische Journalistin, und es steht zu befürchten, dass sie ein Opfer der Geheimpolizei wurde. Hoffnungslos scheint Vignales Unterfangen, sich binnen einer Nacht Klarheit über den Frontverlauf in einer Stadt im Ausnahmezustand zu verschaffen. Alte Koalitionen sind erodiert, Freunde wurden zu Verrätern, ständig werden die Karten neu gemischt – Gerüchte machen die Runde, obschon die Infrastruktur in der Stadt weitgehend zusammengebrochen ist. Mit seiner episodischen Erzählweise setzt Schroeter ganz auf die Situation, die Szene, nicht auf Plot, Handlung oder Spannung. Obwohl die Nacht in Terror versinkt, kann das allgemeine Durcheinander Vignale nichts anhaben, fast unverletzbar scheint er auf seiner Passage, die ihn immer wieder alte Bekannte treffen lässt. Trifft er auf Unbekannte, schützt ihn sein offenbar mythenumrankter Name. Vignale gilt vielen als Held. Warum bleibt, wie so vieles, ungeklärt. „Diese Nacht“ scheint völlig aus der Zeit gefallen. Dem Film liegt ein parabelhafter existenzialistischer Roman des Südamerikaners Juan Carlos Onetti aus dem Jahr 1944 zugrunde. Gedreht wurde er mit einem erstaunlichen Star-Ensemble (Pascal Greggory, Bruno Todeschini, Sami Frey, Nathalie Delon, Bulle Ogier, Marc Barbe) und mit französischem Geld in Porto, nur nachts. Die Produktionsumstände mit dem schwer kranken Filmemacher dürften hinreichend bekannt sein. Nachdem Schroeter Onettis Vorlage durch das Shakespeare-Zitat noch einmal abstrahiert und entpolitisiert hat, setzt er noch einmal forciert auf ein multimediales Gesamtkunstwerk. „Diese Nacht“ ist Film, Theater, Tableaux vivants, Oper und Fado – ein Rausch der Farben und Gefühle, der so nur möglich scheint in einem Moment der Aufhebung von Geschichte. Man könnte in diesem Zusammenhang von einer dunklen Oper sprechen, wenn Schroeter radikal ästhetisierte Bilder von Folterungen und Massenerschießungen mit Musik von Mozart, Schubert, Rossini, Liszt, Beethoven oder Haydn auflädt – und dabei die Künstlichkeit der magisch ausgeleuchteten nächtlichen Dekors nochmals in Artifizielle vorantreibt. Zugleich aber mischen sich in diesen Diskurs des Erhabenen widerstrebende Momente der Populärkultur, denn bestimmte Bilderwelten rund um die Vorstellungskomplexe Bürgerkrieg, Militärjunta, Straßensperren, Nacht der langen Messer oder auch des letzten Schiffes, das noch abfahren darf, sind hunderte Male trivialisiert und konventionalisiert worden. So verstörend einzigartig Schroeters multimediale Kunst heute in der Filmlandschaft auch dasteht, bestimmte historische Allianzen wie Pasolini, Visconti, Wertmüller oder vielleicht auch Fassbinder kommen schon ins Gedächtnis, insbesondere in Momenten, in denen es darum geht, dem herrschenden Terror etwas Humanes entgegen zu setzen. Das kann die Musik selbst sein, das kann auch der höchst stilisierte Moment sein, in dem der gestürzte Diktator seinen Selbstmord als überbordendes Kunstwerk inszeniert. Kurz vor Schluss begegnen sich zwei Kinder unter der Dusche, ihr Spiel scheint erotisch und unschuldig zugleich. Übersehen sollte man bei nicht, wie häufig von Liebe die Rede ist. Manche Figuren geben sich in dieser Nacht der Freude des Moments hin, andere verzehren sich voller Sehnsucht, immer darauf hoffend, den schmerzlich vermissten Geliebten noch einmal zu sehen. So düster und apokalyptisch Schroeters Film zu sein scheint, letztlich singt er ein Hohelied der Liebe und der Sehnsucht, auch oder gerade in Zeiten, in denen in jeder Hinsicht Ausnahmezustand herrscht. Inwieweit dieses Moment nun wieder (politisch) naiv oder geradezu obszön ist, inwieweit hier der Schrecken zur Feier der Schönheit missbraucht wird, das hängt davon ab, wie weit man gewillt ist, Schroeters radikaler Kunst-Ideologie der Schau- und Hör-Lust zu folgen.
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