Die Wolken von Sils Maria

Drama | Frankreich/Schweiz/Deutschland 2014 | 124 Minuten

Regie: Olivier Assayas

Eine gefeierte Schauspielerin um die 50 soll an der Neuinszenierung jenes Theaterstücks mitwirken, das sie vor 20 Jahren berühmt machte. Während sie die Rolle einer älteren Frau spielen soll, wird ihre einstige Rolle von einem Hollywood-Starlet verkörpert. Im Schweizer Bergdorf Sils Maria, in das sie sich mit ihrer jungen Assistentin zurückzieht, geraten die Vorbereitungen zur krisenhaften Erfahrung. Die Geschichte einer Lebens- und Rollenkrise enthüllt sich als ebenso melancholischer wie ironischer Kommentar auf die digitale Moderne. Dabei sind die Beziehungen zwischen den Figuren ebenso vielschichtig wie die komplexen (film-)kulturellen Referenzen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CLOUDS OF SILS MARIA
Produktionsland
Frankreich/Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
CG Cinéma/Pallas Film/CAB Prod./Vortex Sutra/arte France Cinéma/ZDF/Arte/Orange Studio/RTS/SRG SSR idée suisse
Regie
Olivier Assayas
Buch
Olivier Assayas
Kamera
Yorick Le Saux
Schnitt
Marion Monnier
Darsteller
Juliette Binoche (Maria Enders) · Kristen Stewart (Valentine) · Chloë Grace Moretz (Jo-Ann Ellis) · Lars Eidinger (Klaus Diesterweg) · Johnny Flynn (Christopher Giles)
Länge
124 Minuten
Kinostart
18.12.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
nfp (EuroVideo)
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Diskussion
Nach einem guten Drittel des Films sieht man die gefeierte Schauspielerin Maria Enders mit ihrer jungen Assistentin Valentine in einem Kino sitzen. In der Hauptrolle einer Mutantin agiert das skandalumwitterte Hollywood-Starlet Jo-Ann Ellis, eine A-Schauspielerin, die, so heißt es, alles dafür tue, um auf einer C-Liste zu landen. Olivier Assayas inszeniert diesen Film-im-Film, der offensichtlich eine Art Rip-off von Bryan Singers „X-Men“ (fd 34 428) darstellen soll, als stilsicheren Sci-Fi-Trash, als Blockbuster-Parodie. Enders, die sich wie ihre Darstellerin Juliette Binoche einen Namen im Autorenkino und auf der Bühne gemacht hat, aber auch durch Ausflüge in den Mainstream bekannt wurde, sitzt mit ihrer 3D-Brille im St. Moritzer Kino und versteht: rein gar nichts. Im Anschluss kommt es zwischen Enders und ihrer Assistentin zu einer Kontroverse über den Wert des Franchise-Kinos, die Privilegien der Jugend und das Spektakel der Celebrity-Kultur. Enders argumentiert bildungsbürgerlich („cartoonhafte Charaktere“, „hirnlos“), Valentine verteidigt den Film und will Tiefe und Komplexität in den Figuren erkannt haben. Ist Valentine nun einfältig, oder hat Enders den Anschluss an die digitale Moderne verpasst? „Die Wolken von Sils Maria“ intoniert die Midlife- und Rollenkrise einer Schauspielerin zwischen Melancholie und ironischem Gegenwartskommentar. In einer Neuinszenierung des Theaterstücks „Maloja Snake“, dessen Titel sich einem berüchtigten metereologischen Phänomen in den Engadiner Bergen verdankt, soll Enders Helena spielen, eine Geschäftsfrau, die von ihrer viel jüngeren Assistentin Sigrid verführt und in den Selbstmord getrieben wird. 20 Jahre zuvor hat Enders schon einmal in „Maloja Snake“ gespielt, damals war sie die Sigrid. „Ich fühle mich nicht wohl in ihrer Haut“, sagt Enders über die Figur der älteren Frau und meint damit wohl vor allem sich selbst. Die „neue“ Sigrid Jo-Ann Ellis ist ebenso wie der Superheldenfilm mehr Chiffre als konkrete Wirklichkeit: Sie steht für den Typus des Stars, dessen Prominenz sich weniger kultureller Leistung verdankt als den Effekten der viralen Bildverbreitung. Das komplexe Netz von Beziehungen und Spannungen – zwischen Enders und Helena, Helena und Sigrid, Enders und Jo-Ann Ellis, Enders und Valentine – wird in „Die Wolken von Sils Maria“ vom Konflikt zwischen Pop und Klassik, Flüchtigkeit und Persistenz grundiert. Bei den Vorbereitungen auf das Theaterstück im titelgebenden Schweizer Bergdorf, wohin sich Enders mit Valentine zurückzieht, den Text probt, diskutiert, wandert (manchmal alles gleichzeitig), kommt es immer wieder zu Berührungen mit der Stück-im-Film-Realität, wobei die beiden Ebenen nie vollständig ineinander aufgehen. Das lesbische Begehren im Bühnenstück wird in der Filmrealität auf ein anderes Feld umgeleitet: in ein Begehren nach Anerkennung, Bewunderung und Relevanz. „Maloja Snake“ wird zum Schauplatz divergenter Interpretationen; mehr noch: Es geht um kulturelle Deutungshoheit. Der generationenbedingte Relevanz-Wettstreit findet dabei vorwiegend über die Medien Ausdruck. technische Geräte, Klingel- und Benachrichtigungstöne, Internetportale oder Youtube-Clips sind im Film allgegenwärtig und bilden einen schönen Kontrast zur archaischen Wucht der Bergwelt. Assayas ist glücklicherweise nicht in die naheliegende Falle gegangen, Maria Enders als waschechtes „digital alien“ zu zeichnen. Enders gefällt sich zwar in der Kultivierung ihrer Kulturkritik – „Wir verachten das Internet“, sagt sie einmal –, aber kaum fällt ein unbekannter Name, sieht man sie auch schon durch die Google-Bildersuche navigieren. Während noch David Cronenbergs „Maps to the Stars“ (fd 42 567) ganz um den Fetisch vergangener Bilder und seine geisterhaften Kräfte kreiste, adressiert Assayas auf selbstreflexive Weise die Gegenwartskultur – etwa wenn er durch die Besetzung von Kristen Stewart deren Off-Screen-Persona mobilisiert. Valentines lakonische Kommentare zu Teenager-Fans und Skandalen klingen durch Stewarts Mund wie pure Selbstironie. Und in den kulturellen Debatten findet sich nicht zuletzt auch Assayas’ eigene Autorenposition gespiegelt: zwischen der Tradition des französischen Autorenkinos und einer globalen Filmsprache. Wo sich „Die Wolken von Sils Maria“ also auf der einen Seite ganz klassisch gibt – lange Dialogszenen, Musik von Händel und Pachelbel –, öffnet sich der Film auf der anderen Seite auf leichtfüßige und gänzlich unprätentiöse Weise für populäre Formen. Vor allem im Referenzüberschuss und den immer neuen, sich auffächernden und überkreuzenden Bezugsfeldern – von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (fd 18 187) über einen vergessenen Bergfilm von Arnold Fanck bis hin zu Lindsay Lohan – zeigt sich „Die Wolken von Sils Maria“ ein Stück weit selbst von den viralen Bilderströmen infiziert.

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