Action | Deutschland 2024 | 419 (acht Folgen) Minuten

Regie: Cüneyt Kaya

Ein ehemaliger Tresorknacker wird zu einem letzten Coup genötigt, raubt eine wertvolle Goldmünze, macht sich damit jede Menge Feinde und stolpert mit einem Fahrer aus dem Wiener Rotlichtmilieu in eine haarsträubende Road-Movie-Odyssee: Verfolgungsjagden, Kämpfe und Flucht stehen ihnen bevor, mit allerlei finsteren Gestalten von einem kriminellen Berliner Clan bis zur korsischen Mafia auf den Fersen. Die verschlungenen Handlungsstränge hetzen regelrecht durch Standard-Dramaturgien und bieten wenig Raum für die Figuren. Die Routine bricht jedoch immer dann auf, wenn die Serie nach Wien schwenkt: Aus schablonenhaften Gangsterfiguren werden hier komplexe Charakterköpfe mit angeknacksten Egos und Eitelkeiten. - Ab 18.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Wiedemann & Berg Filmproduktion
Regie
Cüneyt Kaya · Marvin Kren
Buch
Benjamin Hessler · Marvin Kren · Georg Lippert
Kamera
Andreas Thalhammer · Xiaosu Han
Musik
Stefan Will
Schnitt
Christoph Brunner · Jan Hille · Christoph Loidl
Darsteller
Frederick Lau (Charly) · Christoph F. Krutzler (Joseph) · Svenja Jung (Samira) · Kida Khodr Ramadan (Rami) · Georg Friedrich (Zwanziger)
Länge
419 (acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Action | Krimi | Serie
Externe Links
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Eine Gangster-Serie mit Heist-Movie- und Road-Movie-Elementen: Ein ehemaliger Tresorknacker wird noch einmal zu einem Coup genötigt und befindet sich bald mit einem Fahrer aus dem Wiener Rotlichtmilieu auf einer wilden Flucht.

Diskussion

Straßenlaternen glitzern über die Windschutzscheibe des Taxis. Der Fahrer schaut konzentriert auf den Verkehr, die Passagierin auf der Rückbank blickt verträumt aus dem Seitenfenster. „Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh’n?“, singt Rainhard Fendrich aus dem Autoradio. Die beiden können die Frage bejahen, das wird klar, sobald sie ihr Ziel erreicht haben. Der gedrungene Fahrer in Hawaii-Hemd und Lederblouson ist kein normaler Taxler, sondern Kurier für die Wiener Unterwelt. Er liefert aus, was man ihm aufträgt: Drogen, Frauen, Warnungen. Er scheint in sich zu ruhen, als er die Prostituierte Alina bei einer Drogenparty absetzt und im Hinterzimmer das Geld nachzählt – auch bei langjährigen Geschäftspartnern, sicher ist sicher. Hinter der abgeklärten Fassade ist er immer auf der Hut – zu Recht, wie sich herausstellt. Nur deshalb kann er reagieren, als Alina von einem Kunden angegangen wird. In einem reflexartigen Gewaltausbruch legt er mit bloßen Händen die gesamte Partygesellschaft lahm. „Hoffen Sie nicht auf den Walzerklang. Oder auf Herzen aus Gold.“ Auch bei Rainhard Fendrich ist die Wiener Nacht eine des Zwielichts.

Showrunner Marvin Kren ist in seinem Element

Das Flair des Wiener Gangstertums passt wie angegossen in die Welten von Serienmacher Marvin Kren. Mit der Kreuzberger Gangstersaga „4 Blocks“ (2017-2019) setzte er neue Genre-Standards im deutschsprachigen Fernsehen. Die Serie machte Kida Khodr Ramadan als libanesischen Clan-Boss Toni Hamady zum schillernden Mafia-Antihelden, der auf Augenhöhe mit internationalen Größen wie Tony Soprano, Tommy Shelby oder Nucky Thompson agiert. Der Österreicher Kren fühlt sich sichtlich wohl in klassischen Genres, mit seinen Horrorfilmen „Rammbock“ (2010) und „Blutgletscher“ (2013) machte er sich früh einen Namen, mit der Serie „Freud“ (2020) verquickte er schließlich eine historische Figur mit Mystery und Psychothriller.

Insofern ist die achtteilige Serie „Crooks“ eine logische Fortführung seiner Arbeit. Neben Wien spielt auch die Berliner Unterwelt wieder eine Rolle, und dort nimmt die Handlung auch ihren Ausgang. Der Al-Walid-Clan begeht einen aufsehenerregenden Kunstraub im Bode-Museum, der auch andere Gangs aufhorchen lässt: Kroaten, Russen und die korsische Mafia sind schnell hinter dem kleinen Goldstück her, ebenso die Wiener Puff-Dynastie, aus der Taxler Joseph stammt.

Der Raub einer Goldmünze zieht eine Gewaltwelle nach sich

In dieses Gewirr gerät gleich zu Beginn der Berliner Charly (Frederick Lau) – einst einer der besten Tresorknacker weit und breit, nach einem Gefängnisaufenthalt geläutert und nun angepasster Inhaber eines Schlüsseldienstes. Ehemalige Geschäftspartner jedoch brauchen sein Know-how: Sie wollen die Münze aus einem Tresor der Al-Walids stehlen und bedrohen deshalb Charly und seine Familie. Der letzte Bruch vor dem bürgerlichen Leben, das ist ein Topos für sich und muss im Film traditionell schiefgehen. Kren vertraut hier auf bewährte Muster des Gangsterfilms. „Crooks“ basiert lose auf „Der Panther wird gehetzt“ (1960) von Claude Sautet, und auch Charlys Aktion zieht eine Welle von Besitzansprüchen und Gewalt nach sich.

So wird das Goldstück schnell zum MacGuffin der Serie. Zwar ist es mehrere Millionen wert, doch geht es eigentlich um Ego, Ehre und Erbschaft: Bei Charlys Einsatz kommt einer der Al-Walid-Brüder zu Tode, weshalb er mit seiner Familie zu seinem Freund Rami nach Marseille fliehen will.

Immer unübersichtlichere Machenschaften

Joseph ist als unehelicher Sohn des verstorbenen Rotlichtkönigs von Wien zwar Alleinerbe eines Imperiums, aber zugleich auch Zielscheibe seines Onkels, der sich mit den Russen eingelassen hat. Sowohl er als auch Charly stolpern in immer unübersichtlichere Machenschaften, zuerst jeder für sich, später als Zweckgemeinschaft, die sie einmal quer durch die europäische Unterwelt führen: von Berlin über Wien und Italien bis in die Banlieues von Marseille.

Die Handlung ist also auf allen Ebenen weitläufig. „Crooks“ will eine noch größere Saga sein als 4 Blocks“, das merkt man den Hochglanzbildern an, die eine solche Produktion erfordert. Kren verschachtelt die vielen Handlungsstränge gekonnt ineinander, um die Spannung zu halten. Allerdings vertraut er innerhalb der Erzählstränge etwas zu sehr auf bewährte Dramaturgien. Sie folgen alle einem ähnlichen und deshalb bald vorhersehbaren Jump’n’Run-Muster: Verfolgungsjagd, Kampf, Flucht, dazwischen Familienstreitigkeiten innerhalb der Clans – und dann wieder von vorne, lediglich an einem anderen Ort.

Routinierte Revue aus Genrestandards

Keine Frage, Kren baut diese Welten stilsicher und versiert. Doch wo Kida Khodr Ramadan kürzlich mit der improvisierten und ultra-kompakten Mini-Serie „Testo“ ein formales Experiment wagte und damit auch das Selbstverständnis dieser klischeehaften Figuren ironisch in Frage stellte, wirkt „Crooks“ nun bisweilen wie eine routinierte Revue aus Genrestandards, die auch Krens bis in die kleinsten Nebenrollen erstklassige Besetzung nicht über die gesamte Distanz am Laufen halten kann: Frederick Lau spielt Charly, Veysel Gelin einen der Al-Walid-Brüder, Kida Khodr Ramadan ist als Rami im Marseiller Exil zu sehen, Svenja Jung als Charlys Frau Samira, Maya Unger als Wiener Polizistin. Dieses offensichtlich eingespielte Team darf oft nur winzige Textbrocken hinwerfen, weil die Handlung weiterhetzen muss. Die Frauenfiguren verschwinden so beinahe ganz – Alina, Samira und Nina hätten allesamt interessante Perspektiven zu bieten, bleiben jedoch kaum mehr als blasses Beiwerk. Das ist schade, da vor allem bei der Polizistin Nina eine ganz private Motivation im Kampf gegen die Clans angedeutet, dann aber kaum entwickelt wird.

Wiener Schmäh und süffisante Selbstironie

Dass sie eigentlich ein Händchen für Figuren haben, zeigen Kren und Autor Benjamin Hessler immer dann, wenn der Fokus nach Wien schwenkt. Hier bricht die Routine auf, und aus den schablonenhaften Gangsterfiguren werden komplexe Charakterköpfe mit angeknacksten Egos und Eitelkeiten. Wiener Schmäh und süffisante Selbstironie gegenüber der eigenen Branche nehmen diesen Gangstern den Bierernst, mit dem die Berliner Kollegen an ihrem Dasein festhalten und ihren Lebensstil verherrlichen. Georg Friedrich und Lukas Watzl spielen die stiefelleckenden Schergen von Josephs Rotlicht-Onkel zwischen bubihafter Hörigkeit und halbstarker Selbstbehauptung – ein herrliches Duo infernale. Michael Thomas schließlich gibt eine kurze Reprise seiner Paraderolle als abgehalfterter Schlagersänger in Ulrich Seidls „Rimini“ (2022) – bei Kren natürlich alles nur Tarnung!

Aus dem durchweg hochkarätigen Ensemble jedoch sticht Christoph Krutzler heraus, bereits in „Freud“ in einer kleinen Rolle als nervöser Schutzmann mit monströsem Schnurrbart und Hang zum Wirtshausgesang zu sehen. Der Taxler Joseph scheint ihm wie auf den Leib geschneidert: Gebeutelt vom Leben im Zwielicht will dieses gestandene Mannsbild eigentlich nur verschwinden und träumt heimlich von einer Zukunft mit Alina: Immer, wenn sie ins Taxi steigt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht, und nachdem er auf der Party ihren Angreifer und dessen Crew vermöbelt hat, ist er sichtlich mitgenommen. Ein Schnaps wäre jetzt richtig, doch Joseph ist seit Jahren trocken und zückt eine Flasche Apfelsaft – „selbstgepresst,“ lächelt er stolz und reicht das Getränk an Alina weiter. Kleine Gesten wie diese erzählen oft mehr als wildes Geballere. Wenn er so in seinem alten, aber gepflegten Taxi sitzt, könnte er auch glatt in einen melancholischen Aki-Kaurismäki-Film davonfahren.

An Ausrastern mangelt es Joseph dann trotzdem nicht im Verlauf der Serie, immer in Notwehr für sich und alle, denen er bedingungslos vertraut. Wenn er zu Italo-Schlagern mit weiten Schwüngen um sich boxt, glaubt man beinahe, den jungen Bud Spencer vor sich zu sehen – Krutzler schafft es, daraus keine Parodie zu machen, sondern eine hart-aber-herzliche Hommage. „Crooks“ reicht nicht ganz an die eigenen Ansprüche einer Saga heran, doch allein wegen Christoph Krutzler rentiert sich die Serie: Zum gewitzten Soundtrack zwischen Zither-Klängen mit „Der dritte Mann“-Vibes, Austropop und Schlager macht er jede seiner Szenen zur kleinen Gangsterballade.

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