Filmliteratur: Ingmar Bergman

Filmbuch-Tipps im Juli anlässlich des 100. Geburtstags von Ingmar Bergman am 14.7.2018: Publikationen zur schwedischen Regie-Ikone

Veröffentlicht am
24. Januar 2023
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Am 14. Juli 2018 wäre einer der wirkungsmächtigsten Autorenfilmer aller Zeiten einhundert Jahre alt geworden: Ingmar Bergman (1918-2007). Anlässlich der weltweiten Feierlichkeiten zum laufenden Bergman-Jahr sind auch auf dem Buchmarkt zahlreiche Titel erschienen. Unter Ihnen drei sehr unterschiedliche persönliche Annäherungen an den Künstler: eine erweiterte Neuauflage von Bergmans Autobiografie, ein Reisebuch und ein Roman von Bergman-Tochter Linn Ullmann.



Ingmar Bergman. Laterna Magica. Mein Leben (erweiterte Neuauflage)

Der legendäre schwedische „Palme der Palmen“-Preisträger Ingmar Bergman war nicht nur ein grandioser Kino- und Bühnenzauberer, sondern ein ebenso großartiger Literat, wie die erweiterte Neuausgabe seiner berühmten Lebenserinnerungen „Laterna Magica. Mein Leben“ beweist.

Ingmar Bergman war ein Sonntagskind im Wortsinn – und trug doch schon den „Ernst“ im Namen: „Als ich im Juli 1918 geboren wurde, hatte die Mutter die Spanische Grippe, und da es nicht danach aussah, als wenn ich überleben würde, erhielt ich noch im Krankenhaus die Nottaufe“, beginnt der schwedische Regie-Titan Ernst Ingmar Bergman (14. Juli 1918–30. Juli 2007) höchst deprimierend im Tonfall seine faszinierende Lebensrückschau zwischen zwei Buchdeckeln, die im September 1986 zum ersten Mal unter dem Titel „Laterna Magica“ publiziert worden war und nun zum 100. Geburtstag des Jahrhundertkünstlers in einer überaus lesenswerten Neuausgabe erschienen ist.

Was hier auf über 350 selbst formulierten Seiten folgt, ist glücklicherweise keine geschönte oder allzu selbstherrliche Autobiografie, wie man sie parallel zu Bergmans Memoiren aus der jüngeren (Film-)Vergangenheit von unzähligen Schauspielern wie Curd Jürgens („...und kein bisschen weise“/1976) über Klaus Kinski („Ich brauche Liebe“/1991) bis hin zu Helmut Berger („Ich: Die Autobiographie“/1998) kennt, die allesamt wenig lesbar sind, dazu kaum einen filmhistorischen Mehrwert enthalten. Ingmar Bergmans Schreibstil ist dagegen alles andere als ideenlos, sondern schon von den ersten Seiten an ungemein fesselnd. In der literarischen Tradition hochambitionierter Bewusstseinsströme voller Rückblenden und Traumsequenzen sowie in bewusst unchronologischer Reihenfolge und mit einem offenem Ende hat der Schriftsteller Bergman „seinen“ ganz persönlichen Lebensroman kreiert: Eben in genau jener rätselhaft-offenen Struktur, die auch vielen seiner großen Leinwand-Meisterwerke (wie „Persona“/„Wilde Erdbeeren“/„Passion“) unverkennbar zu eigen ist.

Einen wesentlichen Teil dieses wunderbar assoziativ montierten Buches widmet Bergman dabei seiner eigenen, nicht gerade einfachen Kindheit als „missratener“ Pfarrerssohn aus Uppsala. Bergmans junge Jahre steckten voller Demütigungen, und das literarische Ich geht unverblümt auf das drakonische Strafregister eines wenig empathischen Vaters ein, mit dem der reale Bergman jahrzehntelang unversöhnt blieb. Nicht minder schwierig gestaltete sich die Beziehung des scheinbar ewig kränkelnden Kindes zu seiner Mutter, die Frostigkeit versprühte und Gefühle im Alltag kaum zuließ: „Mein vierjähriges Herz verzehrte sich in hündischer Liebe. Das Verhältnis war trotzdem nicht unkompliziert: Meine Ergebenheit störte und irritierte sie, meine Zärtlichkeitsbezeugungen und heftigen Ausbrüche beunruhigten sie. Sie schickte mich oft mit einer kühlen, ironischen Bemerkung weg. Ich weinte vor Wut und Enttäuschung.“

Das heiß geliebte Kino, die titelgebende „Laterna Magica“, kommt in dieser hochreflektierten Rückschau erstaunlicherweise nicht gleich auf den ersten Seiten zur Sprache, übrigens ebenso wenig wie die lebenslange Bergmansche Passion für „die Bretter, die die Welt bedeuten“ oder überhaupt sein gesteigertes Interesse für alles Triebhafte oder Sexuell-Emotionale, das schließlich seine über sechzigjährige Künstlerkarriere mit neun Kindern von sechs verschiedenen (Ehe-)Frauen von Beginn an durchzog. Es sind kurz gesagt auch in diesen niedergeschriebenen Zeilen all die Dämonen, die für Bergmans unstetes Leben wie sein enorm einflussreiches Oeuvre charakteristisch sind, die sich in „Laterna Magica. Mein Leben“ immer wieder aus den dunklen Seiten seiner egomanischen Seele heraus zu Wort melden: „Meine Schwester wird geboren, ich bin vier Jahre alt, und die Situation ändert sich radikal: eine fette, missgestaltete Figur spielt plötzlich die Hauptrolle. Ich werde aus dem Bett meiner Mutter vertrieben, mein Vater strahlt, wenn er das brüllende Bündel ansieht. Der Dämon der Eifersucht hat mein Herz mit seinen Krallen gepackt, ich tobe, weine, scheiße auf den Fußboden und schmiere mich voll. Mein älterer Bruder und ich, normalerweise Todfeinde, schließen Frieden und brüten Methoden aus, das widerwärtige Wesen umzubringen.“

Diese bildstarke und rauschhafte Sprachkunst, die im weiteren Verlauf auch noch Bergmans berüchtigte „Lebenskatastrophe“, seine Steueraffäre in Schweden und das darauffolgende Exil in München fokussiert, wirkt heute immer noch frisch und keineswegs angestaubt. Ergänzt wird diese dritte, erweiterte Neuausgabe durch ein gelungenes Vorwort des französisch-mauritischen Literaturnobelpreisträgers Jean-Marie Gustave Le Clézio, der „Laterna Magica“ als „einzigartiges Buch“ preist, das sich gerade durch seine Chiffrenartigkeit hervortut: „eine Mischung aus intimen Bekenntnissen, dem Logbuch eines schöpferischen Menschen, aus erbarmungslosen Pamphleten wider seine Zeitgenossen und einer Liebeserklärung an Theater und Kino“.

„Laterna Magica“ bleibt damit auch für kommenden Generationen, die sich für das vielschichtige Werk des großen Schweden begeistern, ein absolut gelungenes Erinnerungsdokument erster Güte, das zum einen viel von der „persona Bergman“ preisgibt, zum anderen auch als literarisches Ereignis der späten 1980er-Jahre im Gedächtnis bleibt und eine (neue) Lektüre jederzeit lohnt.

Ingmar Bergman: Laterna Magica. Mein Leben. Aus dem Schwedischen von Hans-Joachim Maass. Mit einem Vorwort von Jean-Marie Gustave Le Clézio und einem Nachwort von Jean-Claude Carrière. Alexander Verlag 2018. 384 S., Broschur, 3. durchgesehene Auflage, 19,90 EUR.




Eckhard Weise. Reisen im Bergmanland.

Nicht nur für Filmwissenschaftler und Bergman-Biografen spannend, sondern auch für Wanderfreunde und Schweden-Fans ergiebig: Ein bemerkenswertes Buchhybridà la „Was Sie schon immer über Bergman wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“.

Ingmar Bergman verbrachte fast sein gesamtes Leben in Schweden. Ebenso drehte und realisierte er beinahe alle seine Filme und Theaterinszenierungen auf Schwedisch und in der Mehrzahl mit schwedischen Schauspielern. Bis auf seine am Ende fast neunjährige Exilzeit in München wurde er von Kindesbeinen an, egal ob in Uppsala, Stockholm oder auf der einsamen Ostseeinsel Fårö, zu allererst durch seine eigene Landes- und Sprachmentalität geprägt.

Bergman-Experte Eckhard Weise, von dem beispielsweise die weiterhin lesenswerte Monographie im Rowohlt Verlag (1987) stammt, steuert mit seinen „Reisen im Bergmanland“ einen ebenfalls überaus hybriden Text zum Bergman-Jubiläumsjahr bei, der sich prinzipiell kaum einer festen Kategorie auf dem deutschen Buchmarkt zuordnen lässt – und dennoch seine Stärken hat.

Dafür hat der ehemalige Lehrer, der bereits Einzelwerke zu weiteren Giganten des Weltkinos wie Sergej M. Eisenstein oder Orson Welles verfasst hatte, eine höchst ungewöhnliche Struktur gewählt. Durch zwölf lose unterteilte Kapitel (u.a. „Eine Welt erkunden“, „Der Exilant“ oder „Inselfilme“), die sowohl detaillierte Reiserouten zu den Wohn- wie Drehorten Bergmans als auch zahlreiche persönliche Anekdoten des Autors aus einer beinahe vierzigjährigen Beschäftigung mit demselben Thema enthalten, kann sich der Leser auf die Spuren des legendären Autorenfilmers begeben: Entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad, aber auch genauso gut zu Hause und lediglich in Gedanken.

Denn zusätzlich zu einer Auswahl von Weises essayistischen Texten, die zuerst in Lexika („Kindlers Neues Literaturlexikon“), Tageszeitungen (wie der „NZZ“ und der „Frankfurter Rundschau“) oder in Buchverlagen erschienen sind, hat der Autor seit 1970 auf vielen Reisen durch Bergmans Heimat hunderte Foto geschossen, die seinen Band enorm bereichern, auch wenn die Bildqualität nicht durchgängig top ist.

Trotzdem wollte sicherlich jeder, der sich eingehender mit Bergman beschäftigt, schon einmal wissen, wie beispielsweise die zum Kino umfunktionierte Scheune auf Fårö wirklich ausgesehen hat. Und wo war doch gleich die gut erhaltene Bocksmühle aus dem 19. Jahrhundert, an der Harriet Andersson und Åke Fridell in der berühmten Schlusseinstellung von „Das Lächeln einer Sommernacht“ vorbeiwandern? Wo badete „Monika“ und wie sieht zum Beispiel „Gut Taxing“ heute aus, das Bergmans Welterfolg „Schreie und Flüstern“ als unvergessliche Szenekulisse diente? Hier sieht man wirklich zum allerersten Mal in einer deutschsprachigen Publikation fast alle diese selbst schon mythenumwobenen Felsenküsten, Theater- und Herrenhäuser, Kinogebäude und Wohnstätten, die nicht selten die komplizierten Seelenzustände von Bergmans Leinwandheroen kongenial widerspiegelten.

„Schweden zu bereisen auf den Spuren Bergmans, seines Lebens wie seiner Werke, hat daher naturgemäß weniger mit unbefangener Beobachtungsgabe als mit magisch angetriebener Neugierde zu tun, und egal ob die sich ansammelnden Eindrücke dem Bereich des Faktischen oder dem des Imaginierten entstammen, sie bedingen und bereichern sich gegenseitig“, umschreibt Eckhard Weise seine unkonventionelle Herangehensweise als sozusagen real wandernder Autor, der sich parallel zur eigenen Recherche durch eine Vielzahl von Einstellungen aus Bergmans Leinwandklassikern träumt. Gelegentlich etwas arg emphatisch im Ton, aber durchgängig ebenso informativ wie zugänglich lässt sich mit diesem neuartigen „Wander-Logbuch“ der „Bergman-Kosmos“ jederzeit neu erkunden.

Eckhard Weise: Reisen im Bergmanland. Eine Annäherung an Ingmar Bergman und Schweden in Text und Bild. Wiesenburg Verlag 2018, 404 S., Taschenbuch, 39,90 EUR.




Linn Ullmann. Die Unruhigen

Nicht nur das Regie-Gen hat sich wie im Falle von Daniel Bergman („Sonntagskinder“) innerhalb des weitverzweigten Bergman-Clans weitervererbt, sondern auch die literarische Ader des Übervaters. „Die Unruhigen“ heißt Linn Ullmanns neuer Roman, der auch, aber nicht nur ihre weltberühmten Eltern Ingmar Bergman und Liv Ullmann zum Thema hat.

„Ich bin niemandes Kind“, erklärte die norwegische Schriftstellerin und Journalistin Linn Ullmann schon unzählige Male in ihrem Leben. Und trotzdem steckt sie – im Grunde ähnlich wie etwa Isabella Rossellini – als Tochter Liv Ullmanns und Ingmar Bergmans scheinbar ein Leben lang in derselben Zwickmühle: Einerseits interessiert sie sich nämlich nach eigenen Aussagen nach wie vor ungemein für das (Zusammen-)Leben ihrer beiden weltberühmten Eltern, andererseits ist sie es, wie viele Kinder aus ähnlichen Familienkonstellationen, naturgemäß auch leid, ständig danach gefragt zu werden.

Ausgehend von zwölf Stunden Gesprächsmaterial („Die Aufnahmen entstanden im Mai, er starb Ende Juli um vier Uhr morgens“), das sie 2007 und damit im letzten Sommer ihres Vaters auf Fårö mit ihm als greisen Mann aufgenommen hatte, hat sie nun doch zum allgegenwärtigen Gedenken ihres Vaters im Jahr 2018 einen Roman vorgelegt, der zumindest in Ansätzen genau darum kreist: „Sehen, sich erinnern, verstehen. Alles hängt davon ab, wo du stehst.“ Mit welchen Gedanken denkt Linn Ullmann heute als Tochter wie als Literatin an ihre Eltern zurück? Und wo stehen beide in ihrem eigenen (kulturellen) Gedächtnis?

Was in ihrem Buch bloße Dichtung und was Wahrheit ist, überlässt sie von der ersten Zeile an dem Leser. Es entfaltet sich als autobiografisch gefärbte sechsteilige Stationenreise durch das letzte Jahr des Vaters mit einer Ich-Erzählerin ohne Namen, was formal-ästhetisch durchaus an Marguerite Duras’ „Der Liebhaber“ erinnert und zudem durch vielerlei hybride Bausteine (wie Fremd- und Eigen-Zitate, Satzwiederholungen, Tagebucheinträge oder Interviewsequenzen) sehr schnell einen sehr eigenen Sprachsound erschafft. Dass dabei beispielsweise immer nur vom „Vater“ die Rede ist und der Name „Ingmar Bergman“ auf diesen 416 kurzweiligen Seiten kein einziges Mal fällt, versteht sich prinzipiell von selbst. Wahre Bergman-Exegeten werden zudem einige bewusst falsch eingestreute Fakten erkennen, wie zum Beispiel den „roten Volvo“, obwohl doch Bergman immer einen roten Mercedes-Jeep fuhr.

Erinnerungen, Vergangenheit und Gegenwart mischen sich in Ullmanns gelungenem Experimentalroman quasi ununterbrochen zu einem faszinierenden Text-Konglomerat, das episodenhafte Einblicke in die letzten Monate jenes Vaters gewährt, als dieser bereits teilweise erblindete, die meiste Zeit des Tages im Rollstuhl saß und es so auch nicht mehr stets pünktlich zum ersten Film ins berühmte Scheunen-Kino neben dem Wohnhaus schaffte, wo täglich um Punkt 15 Uhr die erste Kinovorführung des Tages startete.

In toto funktioniert Ullmanns poetisch betörender Text über die „zerknitterten Nerven“ des Vaters genau wie das verschwommene Buchcover: Darauf sieht man einen alten Mann mit schwarzem Pullunder und Karohemd, der Bergman physiognomisch nicht nur ähnelt, sondern ihn zugleich auch als den abwesenden Vater zeigt. Zwar sitzt er in dieser Momentaufnahme sehr wohl neben seiner etwa sechs Jahre alten Tochter, aber seine Arme sind verschränkt und seine Augen geschlossen, wodurch er innerlich kilometerweit entfernt zu sein scheint. Er war eben (nie) da – und trug doch selbst im Grunde ein Leben lang die Bürde, Ingmar Bergman zu sein, mit sich herum. Oder etwa nicht?

Linn Ullmann: Die Unruhigen. Roman. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand Literaturverlag 2018, 416 S., Gebundene Ausgabe, 22,00 EUR.



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  • Das Ingmar Bergman Archiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des schwedischen Regisseurs als Neuauflage: Das erstmals 2008 erschienene, reich bebilderte Mammut-Werk aus dem TASCHEN-Verlag rund um Bergmans Leben und Werk.


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