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Herz haben! Ein Comic über Quentin Tarantino

Der Comic-Künstler Amazing Ameziane widmet sich dem filmischen Kosmos des "Pulp Fiction"-Regisseurs

Veröffentlicht am
24. April 2024
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Die Filmografie von Quentin Tarantino ist mit bisher nur neun Filmen zwar nicht umfangreich, hatte aber enormen stilbildenden Einfluss weit übers US-Kino hinaus. In seinem Comic „Quentin Tarantino“ spürt Comic-Künstler Amazing Ameziane Leben und Werk des Filmemachers nach und eignet sich dabei formal dessen Prinzip der wechselnden Stilmittel an.


Neun Filme in dreißig Jahren – das ist nicht gerade eine Rekordleistung. Dazu kommen zwar noch drei Drehbücher und eine Filmepisode, aber das ändert nicht viel am Volumen von Quentin Tarantinos Filmarbeit. Höchstens die Filmlängen von meist zwei bis zweieinhalb Stunden lassen das Gefühl eines üppigen Werks aufkommen. Und natürlich der große Einfluss seiner Arbeiten auf die Filmwelt! Das ergibt dann doch viel Material für eine Monografie. Der Comic-Künstler Améziane Hammouche alias Amazing Ameziane hat keine Mühen gescheut, sich diesem Unterfangen in Form eines Comics zu stellen.

In letzter Zeit sind einige Comics zu Filmthemen erschienen – über Chaplin, Hitchcock, Fritz Lang, Marlene Dietrich und andere. Mal mit spannendem Ergebnis, mal in formeller Hinsicht aber auch recht anspruchslos. Bei einem leidenschaftlichen Comic-Fan wie Quentin Tarantino liegt es zumindest auf der Hand, sich seinem Werk über dieses Medium zu nähern. Das fängt schon damit an, dass Ameziane Tarantinos Kindheit und Jugend in Form von alten Comic-Strips aus Zeitungen erzählt – liebevoll auf gelbliches Papier gekritzelt und in die 1960er-Jahre zurückdatiert.

Schon in dieser frühen Zeit gerät der Junge in Berührung mit etwas, was sich später in seiner Filmkunst niederschlagen wird. Als seine alleinerziehende Mutter mit dem schwarzen Musiker Curtis zusammenkommt, kehrt in die Welt des kleinen Quentin die Kultur der Schwarzen ein – der Soul und der Funk, aber auch das Blaxploitation-Kino.

Über den Dreh von "Django Unchained" (© Splitter Verlag)
Über den Dreh von "Django Unchained" (© Splitter Verlag)


Dieses nicht unwichtige Detail führt dazu, dass er sich als weißer Junge ob des ungewöhnlichen kulturellen Koordinatensystems in seiner Jugend als Außenseiter fühlt und später immer wieder die schwarze Popkultur in seine Filme einfließen lässt oder gar zum beherrschenden Thema macht, mit der Folge, dass immer wieder diskutiert wird, ob er zu diesem Akt der Aneignung berechtigt sei.


Tarantinos Reise in der und durch die Filmwelt

Aber noch steht Tarantino als Teenager und junger Erwachsener in einer Videothek und fachsimpelt mit anderen Nerds über Filmthemen. Einer von ihnen ist Roger Avary, der ein angefangenes Skript in der Schublade liegen hat und die Grundidee Tarantino überlässt. Der verbringt die kommenden Monate damit, daraus das Telefonbuch-dicke Drehbuch für „True Romance“ zu erarbeiten. Nach eigenen Versuchen der Umsetzung landet es irgendwann bei Tony Scott, der es schließlich verfilmt. Doch da hat Tarantino mit „Reservoir Dogs“ schon einen Debütfilm realisieren können, der die gesamte Filmbranche aufhorchen lässt mit seiner kruden Mischung aus Gewalt und Dialogwitz, Liebe zu B-Movies und einem Sinn für sehr akkurate Regieführung.

Ameziane erspart den Leser:innen Tarantinos Faible für verschachtelte Zeitebenen und -sprünge, hat aber einen ebenso ausgefeilten Sinn für wechselnde Stilmittel, die sich jeweils der zu erzählenden Geschichte anpassen. Mal plakativ, mal realistisch, mal gestrichelt, mal flächig, mal schwarz-weiß und mal im kräftigen Pop-Art-Look visualisiert Ameziane Tarantinos Reise in der und durch die Filmwelt. In den 1990er-Jahren hätte man das einen postmodernen Ansatz genannt, so wie man Tarantinos Filme ein postmodernes Zitatenspiel attestiert hat. Natürlich bei „Pulp Fiction“, seinem großen Durchbruch, aber erst recht bei „Kill Bill“, wo Tarantino jedes Kapitel in einem anderen Stil inszeniert. Ameziane setzt dieses Prinzip in seinem Comic konsequent um. Aber weder bei ihm noch bei Tarantino greift der häufige Vorwurf der Beliebigkeit der Postmoderne.

Der Meister in Schwarz-Weiß (© Splitter Verlag)
Der Meister in Schwarz-Weiß (© Splitter Verlag)

Zum einen sind die ästhetischen, visuellen Entscheidungen immer inhaltlich fundiert. Zum anderen merkt man Tarantinos Filmen immer seine „Five Point Technique“ an, die Ameziane Tarantino im Comic aufsagen lässt: „1. Das Filmgenre kennen, in dem man arbeitet. 2. Sehr gute Dialoge schreiben. 3. Die langweiligen Stellen herausschneiden. 4. Immer Spaß haben. 5 Ein Herz besitzen“.


Aus der Ich-Perspektive

Ameziane lässt nicht nur hier Tarantino zu Wort kommen. Der ganze Comic ist in Ich-Form aus der Perspektive von Quentin Tarantino erzählt und wirkt mit seinen vermeintlichen O-Tönen wie eine Autobiografie. Nicht nur bei den faktenreichen Erzählungen und Erklärungen zu den Hintergründen seiner Filme. Auch bei den Vorwürfen bezüglich der exzessiven Gewalt in seinen Filmen, beim Konflikt mit Spike Lee um das N-Wort in seinen Filmen, und auch bei der #MeToo-Debatte, um die Tarantino, dessen gesamte Karriere an Harvey Weinsteins Studio Miramax hängt, nicht herumkommt, erklärt sich Tarantino in Ich-Form. Fußnoten oder ähnliche Transparenz sucht man im Comic vergeblich, aber es ist davon auszugehen, dass sämtliche Äußerungen, die Ameziane Tarantino in den Mund legt, O-Töne aus Interviews und Texten sind – zitiert oder leicht verändert eingebaut.

Tarantinos autobiografisches Filmbuch „Cinema Speculation“ konnte er sicher nicht berücksichtigen, da es im November 2022 drei Monate nach Amezianes Comic erschienen ist. Inwieweit die Zitate tatsächlich authentisch sind, lässt sich nicht so einfach klären, aber zumindest eine kurze Bibliografie zur Recherche findet man am Ende des Comics. Aber auch diese Herangehensweise spielt wieder auf Tarantinos eigene Zitierwut an, in der er ja ebenfalls sehr spielerisch mit Kontexten umgeht. Wissenschaftlich ist das nicht, dafür aber sehr unterhaltsam.


Eine kreative Ergründung von Tarantinos Kosmos

Und tatsächlich erfährt man am Ende doch unglaublich viel über die filmische Arbeit von Quentin Tarantino. Zum Schluss hin wird der Comic etwas hektisch und handelt die jüngsten Filme „The Hateful 8“ und „Once upon a Time … in Hollywood“ sehr knapp ab, um dann aber noch einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Denn für Spekulationen gibt es genügend Anlass. Schließlich hat der Regisseur verlauten lassen, dass er nach dem nächsten Film als Filmemacher abtreten wird. Inzwischen halten sich die Gerüchte, dass 2025 Quentin Tarantinos Film „The Movie Critic“ (Arbeitstitel) erscheint. Dort soll es in einer Art Fortsetzung von „Once upon a Time … in Hollywood“ um einen respektlosen Filmkritiker gehen, der Ende der 1970er-Jahre für ein Pornomagazin arbeitet. 

Vielleicht hätte Amazing Ameziane um der Komplettheit willen mit seiner Comic-Biografie diesen (vielleicht?) letzten Film von Quentin Tarantino noch abwarten sollen. Aber das ist vielleicht etwas kleinkariert in Anbetracht dieser über 200-seitigen, fachkundigen wie kreativen Ergründung von Quentin Tarantinos filmischem Kosmos.


Literaturhinweis

Quentin Tarantino: Die Graphic Novel Biografie. Von Amazing Ameziane. Splitter Verlag. Bielefeld 2024. 240 S., 35,00 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.



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