Beim „Kongress Zukunft Deutscher Film“, der parallel zum Lichter Filmfest in Frankfurt stattfand, ging es um das Generalthema „Angst“ und seine vielen Ausprägungen. Sei es als filmisches Thema, als Spiegel verdrängter Wünsche oder als Seismograf gefährlicher gesellschaftlicher Änderungen. Doch so ernst die Lage auch ist, wachsen dennoch Widerstand und Resilienz. Nur wer sich den Ängsten stellt, kann sie überwinden.
Wer in diesen Frühlingstagen dem Kongress Zukunft Deutscher Film (23.-25.4.2025) beiwohnen wollte, der parallel zum Lichter Filmfest in Frankfurt am Main stattfand, musste viele Treppen steigen. Bis ganz nach oben, in diesem steilen, turmartigen Bau ohne Fenster, in dem noch bis 2024 die E-Kinos an der Frankfurter Hauptwache untergebracht waren. In diesem Jahr beherbergte das ausgeweidete Multiplex sowohl das Festival wie den Kongress, was gut zum Thema „Angst“ passte. Wo hätte sich die alte Angst vor dem „Ende des Kinos“ besser entfalten können als in einem ehemaligen Lichtspielhaus?
Einmal oben angelangt, blickte man auch sogleich in Abgründe. Denn hier, im ehemaligen Saal Elysee 2, wurde der Kongress von Ulrich Seidl eröffnet, der in seinen Filmen gerne dorthin schaut, wo es wehtut. Seidl präsentierte in Frankfurt „Böse Spiele“, eine „vernetzte“, knapp dreistündige Fassung der beiden Spielfilme „Rimini“ und „Sparta“. Im Rahmen einer Masterclass sprach er über die heutigen Schwierigkeiten des Filmemachens, aber auch über die Frage, was ein „guter“ Film sei und über seine spezifische Art des Filmemachens, die eine lange Vorbereitungszeit erfordert und auf eine Mischung von dokumentarischen und fiktionalen Elementen abzielt. Seidl sprach aber auch darüber, wovor er selbst am meisten Angst hat: vor dem Scheitern. Davor, einen Film zu machen, dem es nicht gelingt, das Publikum zu verstören. So gesehen dürfte Seidl, der sich in seinem Schaffen mit Pädophilie, Sextourismus und den berühmt-berüchtigten österreichischen Kellern befasst hat, nicht allzu oft gescheitert sein.
Kino der Angst, Kino als Therapie
Für Seidl ist Kino ein Weg, sich den eigenen Ängsten zu stellen. Ähnlich sah das auch Severin Fiala, der im Duo mit Veronika Franz (Horror-)Filme macht, zuletzt „Des Teufels Bad“. Auf dem „Genregipfel“ zum Horrorkino, das sich bewusst der Angst(-lust) verschrieb, traf Fiala auf die Filmemacher Linusde Paoli und Christoph Hochhäusler sowie auf Markus Keuschnigg, den Leiter des Wiener Slash-Festivals. Hochhäusler, der zuletzt verstärkt im Noir-Genre gearbeitet hat, beschrieb die Angst als eine der „Essenzen“ des Kinos, während Fiala im Horrorfilm ein Gegengewicht zum überernsten, themengetriebenen Arthouse-Themenfilm ausmachte. Während das Arthouse-Kino ein oftmals „kritikwütiges" Publikum anziehe, sei die (angst-)lustgetriebene Zuschauer:innenschaft des Horrorfilms eher in der Lage, auch missratene Filme wegen zwei oder drei tollen Szenen gut zu finden.
Kino kann Angst machen, aber es kann sie auch nehmen. Das zeigte der Psychotherapeut Otto Teischel, der in seiner Praxis Film als therapeutisches Instrument einsetzt. In seinem sehr persönlichen Vortrag präsentierte er Ausschnitte aus „Frühstückbei Tiffanys“, „Los, Tempo!“, „Paris Texas“, „Jenseits vonAfrika“ und „Die Truman Show“. Allesamt Filme, die in Teischels eigenem Leben eine große Rolle gespielt und ihn stark geprägt haben. Zwischen den Kunstwerken auf der Leinwand und dem Leben der Zuschauer:innen können sich vielfältigste Beziehung ergeben, so Teischel. Filme können Ängste triggern und therapeutisch behandelbar machen. Sie können alte Sehnsüchte wachrufen. Oder dazu inspirieren, eigene Wege zu gehen – ganz ähnlich, wie es Truman am Ende des Films von Peter Weir gelingt, aus der Welt seines Schöpfers in die gefürchtete, aber auch ersehnte Freiheit aufzubrechen. Die Angst ist nicht selten eine Abwehr verdrängter Wünsche, die durch sie erst erkennbar werden.
Auf der Suche nach der „German Angstlust“
Der Horrorfilm spielt mit der Lust an der Angst, die Filmtherapie entdeckt die Lust hinter der Angst. Aber es gibt auch eine Form der Angstlust, die es sich in der Angst und der Ängstlichkeit gemütlich macht. Ob es sich dabei um ein „deutsches“ oder in Deutschland besonders kultiviertes Phänomen handelt, war Thema des philosophischen, sich weit vom Kino entfernenden Panel „Das Kultivieren der Angst. German Angstlust in Film und Gesellschaft“ mit der Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, dem Philosophen Roger Behrens und der Journalistin Giordana Marsilio.
Behrens kritisierte das vage Konzept als nationalistisch-kulturalistische Zuschreibung, und Bronfen fühlte sich an die diffuse Angst erinnert, die Hitchcock in „Die Vögel“ verbreitete. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen schilderte Bronfen die Ängste US-amerikanischer Freund:innen vor sehr konkreten Dingen wie Deportation oder Repression. Aber kann man deswegen gleich von einer „American Angst“ sprechen? Der Begriff gewann in der Debatte, die ihre Kreise bis in die deutsche Romantik zog, an Kontur. Die Deutschen, ein ängstliches Völkchen, regen sich gerne über vieles auf. Sie brauchen Sicherheit, deren Verlust Angst macht.
Vielleicht ist das der Grund, warum es Filmemacher:innen in einem Land mit risikoscheuen Sendern und Förderanstalten so schwer haben. Denn Filmemachen bedeutet ja immer auch Angst und Risiko. Darum ging es in den Diskussionen zwischen den Filmemacher:innen Ayse Polat, Pia Marais, Jan Bonny, Anatol Schuster, Niki Stein und Mehmet Akif Büyükatalay. Die Klage über die (Förder-)Politik der Fernsehsender und ihrer Redaktionen war zentraler Gegenstand der Gespräche. Die Abhängigkeit der Filmemacher:innen von Fernsehsender bei der Produktion von Kinofilmen wurde ebenso kritisiert wie die Angst der Verantwortlichen, ungewöhnliche Projekte zu unterstützten. Auf diese Weise kam man der „German Angst“ dann doch noch auf die Spur: als Metapher für die ästhetische und erzählerische Mutlosigkeit deutscher Sendeanstalten.
Wo
der Film-Psychotherapeut Teischel zu dem Fazit gelangte, dass man allzu oft eine
ängstliche Marionette in Filmen von anderen sei, weshalb man zum Regisseur oder
zur Regisseurin des eigenen Leben werden müsse, scheint dies in Deutschland gerade
für Filmemacher:innen mit künstlerischen Ambitionen eine oft unüberwindliche
Herausforderung darzustellen.
Doch es wurden auch Auswege skizziert. Im Videogespräch regte Dominik Graf an, jenseits der ausgetretenen offiziellen Förderpfade auf Eigeninitiative und alternative Finanzierungsmodelle zu setzen. Und auch Anatol Schuster fand, man solle mit dem Lamentieren vorsichtiger sein. Er erinnert an Radu Jude und dessen Satz, dass man heutzutage auch mit einem iPhone und ohne Budget drehen könne.
Die Öffentlichkeit der Angst
Beim Kongress Zukunft deutscher Film geht es nicht nur um Filme, sondern auch um Förderung und Finanzierung, um Filmkultur und Filmpolitik, um gesellschaftliche und philosophische Fragestellungen. In diesem Jahr kam der Umgang alter und neuer Medien mit Fakten und Berichterstattung hinzu. So referierte der Filmemacher Jan Tussing über die Situation der Nachrichtenredaktionen im Hessischen Rundfunk und legte dar, wie bisweilen mangelhaft recherchierte Beiträge im cross-medialen Verwertungszyklus zwischen Fernsehen, Radio, Internet und sozialen Medien aus Sparzwängen „umkonfektioniert“ werden, ganz nach dem Motto: „Was clickt gut?“
Das Problem resultiert daraus, dass „alte“ Medienhäuser und Tageszeitungen zunehmend die Logik der „neuen“ Medien imitieren, wodurch sie an Qualität und Relevanz einbüßen. Diese fatale „Sucht nach Clicks“ beklagte auch der Schweizer Publizist Roger de Weck auf einem mit Elisabeth Bronfen und Stefan Aust hochkarätig besetzten Panel. De Weck, eine wohltuende Erscheinung mit schneidend klaren Statements, verteidigte einen ethischen, faktenbasierten Journalismus, der wie die liberale Demokratie der Aufklärung entstammt und gegen einen ideologisch-propagandistischen, post-faktischen Wahrheitsbegriff verteidigt werden muss. Außerdem plädierte er für eine staatliche Förderung sowohl öffentlich-rechtlicher wie auch privater Medien, um demokratische Kräfte zu stärken – „ansonsten übernehmen die Oligarchen die Macht“.
Dass offene, liberale und inklusive Gesellschaften durch Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit zunehmend unter Druck geraten, war vor allem am dritten Tag des Kongresses ein Thema. Der Zeitgeist weht rechts, nicht zuletzt dank sozialer Netzwerke, die umso effektivere Instrumente in den Händen von Populist:innen werden, je mehr Angst und Schrecken sie verbreiten. Auf einer Versammlung des deutschen Netzwerkes Film und Demokratie, die als Workshop und „Unconference“ organisiert war, als Konferenz ohne vorgegebene Themen, da diese erst von den Teilnehmenden entwickelt wurden, diskutierte man über eine europäische Ausweitung der Initiative und über Strategien gegen den globalen Rechtsdruck. Wie können – filmisch, medial, diskursiv - Menschen erreicht werden, die mit ihren Stimmen und Körpern gegenwärtig das rechte „Projekt“ mittragen? Dennoch kam auch hier eine Angst zum Vorschein, die heute viele teilen: dass sich trotz Reden und Diskutieren an den bedrohlichen Entwicklungen nichts ändern wird.
Von daher tat es gut, sich zum Abschluss eine Diskussion zwischen drei Filmschaffenden aus einer anderen Region der Welt anzuhören: aus Osteuropa. Der ganze Ernst der Lage wurde hier noch einmal deutlich, aber auch die Notwendigkeit von Widerstand und Resilienz. Die rumänische Produzentin Ada Solomon bescheinigte der (Film-)Kunst selbst in gegenwärtigen Zeiten heilende Kräfte: „Film ist ein Schmerzkiller für Ängste und Zweifel.“ Die georgische Filmemacherin Elene Mikaberidze berichtete von russischer Einflussnahme und Repressionen in ihrer Heimat; viele ihrer Kolleg:innen sitzen im Gefängnis. Dabei brachte sie auf den Punkt, was ihr am meisten Angst bereitet: das Ende menschlicher Empathie. Nicht nur mit Bezug auf das unmenschliche Handeln von Regierungen. Sondern auch mit Blick auf alle, die als Zuschauer:innen gegenüber dem Ausmaß menschlichen Leides an Orten wie Gaza oder der Ukraine zunehmend abstumpfen. Aufgeben will sie deshalb dennoch nicht, ebenso wenig wie die nordmazedonische Schauspielerin Labina Mitevska: „Der Kampf wird weiter gehen“. Wer seine Ängste überwinden und ins Handeln kommen will, muss sich ihnen stellen. Das Kino leistet dazu einen wichtigen Beitrag; darin bestand nach diesem Kongress kein Zweifel mehr.