© Disney+ ("Crater")

Wohin soll das führen?

Wer bei den Streaming-Portalen nach Kinder- und Jugendfilmen sucht, hat es nicht leicht. Die sprunghafte Veröffentlichungspolitik der Anbieter und ihre jeweiligen Eigenheiten erzeugen eine große Unsicherheit

Veröffentlicht am
05. Januar 2024
Diskussion

Die gängigen Streaming-Portale erschweren eine gezielte Suche nach guten Kinder- und Jugendfilmen. Neue Filme tauchen so plötzlich auf, wie sie mitunter auch wieder verschwinden, da die Anbieter vermehrt auf eine Politik der künstlichen Verknappung setzen. Neben der generellen Unübersichtlichkeit bringt das fürs Publikum vor allem auch eine große Unsicherheit mit sich.


In dem für Kinder und Jugendliche gedachten Science-Fiction-Film „Crater“ von Kyle Patrick Alvarez wird auf dem Mond Helium abgebaut, was eine gefährliche Angelegenheit ist, bei der es immer wieder zu Unfällen kommt, bei denen Menschen ihr Leben lassen. So verunglückt auch der Vater des Protagonisten (Isaiah Russell-Bailey) tödlich, was für den Jugendlichen aber auch zur Folge hat, dass er die unwirtliche Kolonie verlassen und auf einen idyllischen Planeten umgesiedelt werden soll. Was ihm und seinen drei besten Freunden dabei widerfährt, ließ sich ab dem 30. Juni 2023 plötzlich nicht mehr nachvollziehen. Denn „Crater“ war wie vom Erdboden verschwunden; sang- und klanglos, fast heimlich wurde der Film von der Plattform Disney+ entfernt.


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Dass Filme auf Streaming-Portalen immer mal wieder verschwinden, ist eine Praxis, an die man sich inzwischen gewöhnt hat. Das Versprechen ständiger Verfügbarkeit, mit dem Netflix & Co. anfangs implizit warben, ist schon lange nur noch Augenwischerei. Im Falle von „Crater“ sind die Umstände allerdings fast ein wenig kurios, da es sich hierbei um eine Disney-Produktion handelt, die erst sieben Wochen zuvor – und exklusiv – auf Disney+ erschienen war.

Fürs Erste existiert „Crater“ damit nicht mehr. Falls Disney sich nicht entscheidet, den Film nochmals online oder (was eher unwahrscheinlich ist) auf einem physischen Trägermedium herauszubringen, kann man ihn schlichtweg nicht mehr sehen.

„Crater“ ist dabei nicht der einzige (Kinder-)Film, den das betrifft. Bei Disney+ lässt sich eine ganze Liste der verschwundenen Filme erstellen: „Timmy Flop: Versagen auf ganzer Linie“ ist ebenso nicht mehr greifbar wie der Eichhörnchen-Superhelden-Film „Flora & Ulysses“ oder das – ganz und gar nicht jugendfreie, dafür umso blutigere – Drama „The Princess“.


Lautlos verschwunden

Auf Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime ist es durchaus üblich, dass viele Filme nicht dauerhaft zur Verfügung stehen. Die Lizenzen werden oft nur für einen begrenzten Zeitraum (und für bestimmte Territorien) erworben und nicht immer verlängert. Ungewöhnlich ist aber das Verschwinden von Eigenproduktionen, also von Filmen und Serien, die nicht lizensiert, sondern von der Plattform in Auftrag gegeben und bezahlt wurden.

Das betrifft mittlerweile auch einen nicht geringen Teil von prestigeträchtigeren und aktiv beworbenen Serien und Filmen, etwa „Reacher“ (Amazon Prime) oder „Enola Holmes“, „Wednesday“ und „Stranger Things“ (alle Netflix).

Jetzt bei Netflix: "Chicken Run: Operation Nugget" (Netflix)
Jetzt bei Netflix: "Chicken Run: Operation Nugget" (© Netflix)

Seltsam ist auch der umgekehrte Fall, wenn ein sensationell lustiger Film wie „Bottoms“ (bei Amazon Prime) fast heimlich online gestellt wird. Und auch „Chicken Run: Operation Nugget“, die exklusiv für Netflix produzierte Fortsetzung von „Chicken Run – Hennen rennen“, ereilte das gleiche Schicksal.

Offensichtlich haben die Streaming-Plattformen noch keine gute Strategie gefunden, Filme und Serien jenseits herausragender Prestige-Produktionen zu bewerben und an jene Menschen heranzutragen, die nicht den ganzen Tag auf der Plattform verbringen oder in der Rubrik „Neuigkeiten“ stöbern. Das betraf auch „Crater, von dessen Existenz nur wusste, wer aufmerksam die Filmpresse verfolgte oder auf YouTube nach neuen Trailern Ausschau hielt. Allerdings ist das Angebot von Disney+ im Gegensatz zu Netflix oder Amazon so strukturiert, dass hier nur Filme und Serien der eigenen Studios gezeigt werden.


Der moderne „Disney Vault“

Die „Originals“, die speziell fürs Streaming produziert werden (und das sind bei Disney eine ganze Menge), gibt es in der Regel auch nur digital; erst seit ein paar Monaten experimentiert Disney+ auch damit, einzelne Filme auch auf DVD und Blu-ray herauszubringen (etwa den „Predator“-Film „Prey“ und die ersten beiden Staffeln der Star-Wars-Serie „The Mandalorian“).

Dazu gibt es eine etwas längere Vorgeschichte. Seit Mitte der 1940er-Jahre brachte Disney seine Animationsfilme von „Schneewittchen und die 7 Zwerge“ an alle paar Jahre neu als Wiederaufführungen in die Kinos, was es vielen ermöglicht hat, „Das Dschungelbuch“ (1967) auch lange nach der Premiere im Kino zu sehen. Als dann mit Videokassetten und DVDs das heutige „Heimkino“ entstand, veröffentlichte Disney viele seiner Klassiker auf den neuen Medien, allerdings nur in begrenzter Zahl und dafür alle paar Jahre wieder. Der Rest blieb im sogenannten „Disney Vault“, also in der Disney-Schatzkammer, verschlossen.

Auf diese Weise verfolgte der Konzern lange Jahre eine Strategie gezielter Verknappung. Erst in den letzten Jahren hat sich dies geändert; die meisten Trickfilme von Disney sind heute dauerhaft auf Blu-ray erhältlich. Mit dem Start der Disney+-Plattform war anfangs sogar das implizite Versprechen verbunden, dass nun das ganze Archiv der Disney-Filme dauerhaft zur Verfügung stehe.

"Schneewittchen und die 7 Zwerge" (imago/Everett Collection)
"Schneewittchen und die 7 Zwerge" (© imago/Everett Collection)

Zu einem großen Teil stimmt das sogar. Bei Disney+ stehen jede Menge alte Filme unterschiedlichster Qualität bereit, von „Die Vermählung ihrer Eltern geben bekannt“ (1961) und „Aufruhr im Spielzeugland“ (1961) bis zu „Die Muppets-Weihnachtsgeschichte“ (1992). Allerdings hat der Konzern mit der Übernahme von 21st Century Fox zahlreiche ältere Filme aus dem Archiv des Studios in die Schatzkammer gesperrt. Zumindest für Kinos, für Retrospektiven und andere Vorstellungen standen sie zunächst nicht mehr zur Verfügung.


Digital ist nicht dauerhaft

Wie es generell mit der Verfügbarkeit von Filmen im Streaming-Zeitalter weitergeht, lässt sich nur schwer vorhersagen. Denn die Gemengelage ist kompliziert. Große Studios wie Disney oder Paramount betreiben eigene Streaming-Plattformen, auf denen sie viele Eigenproduktionen teilweise exklusiv anbieten. Zugleich engagieren sich Plattformen wie Netflix, Amazon oder Apple vermehrt bei der Produktion eigener Filme und Serien oder gründen sogar eigene Studios. Das schien lange ein Erfolgsmodell zu sein, doch jetzt hat Netflix angekündigt, künftig weniger produzieren zu wollen; durch die Vielzahl der Angebote zersplittert der Markt überdies.

Selbst wenn man sich primär für Kinderfilme interessiert, ist die Auswahl übergroß und verwirrend. Diese Unübersichtlichkeit ist auch ein Grund dafür, dass es immer mühsamer wird, sich für einen Streaming-Dienst zu entscheiden. Die wenigsten Zuschauer:innen werden mehrere Plattformen abonnieren; aber nur ein Gigant wie Disney mit Mega-Franchises wie „Star Wars“ oder dem MCU kann es sich leisten, seine Inhalte ausschließlich auf der eigenen Plattform zu vermarkten.

Für die Nutzer ist es überdies enorm frustrierend, wenn Filme plötzlich ganz verschwinden oder nur auf einer Plattform vorhanden sind, die man nicht gebucht hat. So kommt man immer noch nicht um ein Abo bei AppleTV+ herum, wenn man den grandiosen Animationsfilm „Wolfwalkers“ (2020) von Tomm Moore sehen möchte. Hinzu kommt, dass man oftmals gar nicht weiß, welche möglicherweise großartigen Filme und Serien es auf einer Plattform gibt, denn außer für sehr teure Prestige-Starts wird kaum Marketing betrieben.

Nur bei AppleTV: "Wolfwalkers" von Toom Moore (AppleTV+)
Nur bei AppleTV+: "Wolfwalkers" von Tomm Moore (© AppleTV+)

Der Konkurrenzkampf der Plattformen und Studios zeitigt derzeit Folgen, die einen sehr dysfunktionalen Eindruck hinterlassen und verunsichernd, nervig oder schlicht abstoßend wirken. Wohin das führt, lässt sich derzeit beim besten Willen nicht absehen.

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