Dokumentarfilm | USA 2022 | 361 (6 Folgen) Minuten

Regie: Lawrence Kasdan

Das 1975 von George Lucas im Zug der Arbeit an „Krieg der Sterne“ gegründete Visual-Effects-Studio „Industrial Light & Magic“ hatte durch seine Arbeit für Filme wie die „Star Wars“-Reihe, die „Indiana Jones“-Reihe und „Jurassic Park“ wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Genese des sogenannten Effektkinos. Die sechsteilige Dokumentar-Serie blickt hinter die Kulissen des Studios, beleuchtet seine Genese und stellt verschiedene Künstler-Persönlichkeiten und ihre Arbeit vor. Ohne in Hagiografie zu verfallen, vermittelt sich dabei ein facettenreiches, erhellendes Bild der kreativen Arbeit, die hinter den großen Kinoerfolgen steckt. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
LIGHT & MAGIC
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Imagine Documentaries/Lucasfilm
Regie
Lawrence Kasdan
Kamera
Emily Topper · Nicola Marsh
Musik
James Newton Howard
Schnitt
Mike Long · Jonah Moran · Anoosh Tertzakian
Länge
361 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm | Serie

Der Magie auf der Spur: Eine dokumentarische Miniserie über Künstler und Künste der Effekte-Schmiede „Industrial Light & Magic“.

Diskussion

Es ist immer zwiespältig, hinter die Kulissen zu schauen. Beim Theater, beim Film, in der Kunst –bei jedem kreativen Akt stellt sich die Frage: Ist es nicht allein das fertige Werk, das berühren und inspirieren soll? Nimmt ein Blick auf den Schaffensprozess nicht den Zauber, den das Werk ausstrahlen soll?

Beim Film sind die Würfel da längst gefallen. Set-Besuche und ausführliche Berichte über dieselben gehören zur gängigen Pressearbeit der Filmproduzenten, um das Interesse des potenziellen Publikums zu wecken. Und seitdem Videos, DVDs oder Blu-ray-Discs mehr und mehr Platz für Begleitmaterial zuließen, wurden die „Making of“-Berichte über Dreharbeiten und Schaffensprozesse zum Publicity-Standard, um die scheinbar unstillbare Neugier der Fans, Nerds und Bewunderer zu stillen.

Der zwiespältige Blick hinter die Kulissen

Die deutsche Buchausgabe von Francois Truffauts Interviewmarathon mit dem Meister des Suspense brachte diese Neugier 1966 mit dem Titel „Mr Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ auf den Punkt. Und das war längst nicht der erste Versuch gewesen, das Schaffen eines Filmregisseurs aus erster Hand zu erläutern und zu ergründen; Walt Disney selbst schuf mit seinem Kinofilm „The Reluctant Dragon“ („Drache wider Willen“) 1941 eine Art Blick hinter die Kulissen seines eigenen Studios, um den Zuschauern die Kunst des Animationsfilms mit ihren notwendigen Arbeitsschritten ein wenig näher zu bringen. Beiden Werken merkt man die Begeisterung für das jeweilige Medium an: Hitchcock, der genüsslich beiläufig seine genialen visuellen Ideen dem jungen Gegenüber erläutert; Disney, der voller Stolz über das Erreichte die verschiedenen Departments seines Studios in Szene setzt. Aber beiden Werken merkt man auch die Schattenseiten dieser Einblicke an. Hitchcock unterschlägt so manches, wirkt merkwürdig kurz angebunden bei bestimmten Filmen. Disney lässt Schauspieler (unter ihnen der aufstrebende Alan Ladd) seine Animatoren spielen, da die seiner Meinung nach nicht kameratauglich sind. Außerdem steht die freundliche, familiäre Darstellung seiner heilen Studiowelt im krassen Gegensatz zum zeitgleich tobenden Streik seiner Angestellten und der Forderung nach Beitritt zur Trickfilm-Gewerkschaft.

Der Blick hinter die Kulissen ist also mehr als zwiespältig, er darf den Zauber nicht nehmen und muss sich gleichzeitig einer Schönung, einer Klitterung der Geschichte verweigern, um nicht zu einer unglaubwürdigen Hagiographie zu verkommen.

Einblick in einen der spannendsten Augenblicke der jüngeren Filmgeschichte

Das gelingt selten genug – Da wäre Don Hahns brillante Dokumentation „Waking Sleeping Beauty“ über den Wiederaufstieg der Disney Animation Studios aus der lähmenden Kreativlosigkeit in den späten 1970ern bis zum Triumph von „Der König der Löwen“. Da wäre die Dokumentation „Lost in La Mancha“, die das Scheitern eines Filmprojekts protokolliert und dabei die visionäre Kraft des Regisseurs Terry Gilliam dennoch einfängt.

Und jetzt auch Lawrence Kasdans sechsstündige Dokumentation „Light & Magic“ über den Aufstieg der Trickeffektschmiede „Industrial Light & Magic“, kurz ILM zum führenden VFX Studio weltweit. Kasdan, der Drehbuchautor von Produktionen wie „Das Imperium schlägt zurück“, „Jäger des verlorenen Schatzes“ und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, - Filmen also, deren Zauber wesentlich auf den Künsten der Artists von ILM beruhen -, wagt sich hier zum ersten Mal im großen Stil auf das Gebiet des Dokumentarfilms und liefert einen fesselnden Einblick in einen der spannendsten Augenblicke der jüngeren Filmgeschichte, dem Moment, wo die VFX Artists mittels neuer Technologie und Erfindungsgeist zunächst die Kontrolle über jedes einzelne Filmbild und dann über jedes einzelne Pixel desselben erlangen.

So reicht die sechsteilige Doku von den Anfängen der Motion Control Kamera bei „Krieg der Sterne“ über den optischen Printer bei „Das Imperium schlägt zurück“ hin zum Advent der computergenerierten, digitalen Saurier von Spielbergs „Jurassic Park“. Dabei gelingt es Kasdan elegant, sich dem reinen „Wie haben Sie das gemacht?“ zu entziehen. Stattdessen stellt er die intelligentere Frage „Wer hat das wie zu welcher Zeit und unter welchen Umständen gemacht?“ Und er kann seine Fragen den Schlüsselpersonen dieser Periode stellen, die sich bereitwillig und eloquent vor der Kamera auch zu unbequemen Momenten der gemeinsamen Vergangenheit äußern.

George Lucas, John Dykstra und Co.

Da ist George Lucas, dessen Mastermind alles möglich macht, der bereitwillig einräumt, ein Perfektionist im Guten wie im Bösen zu sein, der in jungen Jahren begeisterter Autofan ist und einen Horrorunfall wie durch ein Wunder überlebt und dadurch seinem Leben eine neue Richtung gibt. Kasdan zeigt feinfühlig in Ausschnitten früherer Interviews und Aufnahmen von den Dreharbeiten bei „Krieg der Sterne“, unter welchem immensen Druck der junge Regisseur steht. Lucas, der sich nach eigenem Empfinden als kinetischer Regisseur, weniger als begnadeter Autor versteht, entwickelte die Idee einer publikumswirksamen Science Fiction Story mit dem visionären Look von Stanley Kubricks „2001“, aber mit dem Action-Drive von Fliegerfilmen über den zweiten Weltkrieg wie „Dambusters“ („Mai 1943 – Die Zerstörung der Talsperren“, 1955) oder „Squadron 633“ („Kampfgeschwader 633“, 1964): Spannende Luftkämpfe im Weltall. Mit dem Erfolg seiner Ode an die eigene Jugend, „American Graffiti“ (1973), im Rücken, gelang es ihm, die Finanziers für sein Traumprojekt zu überzeugen, ohne zu ahnen, wie schwierig es werden würde, die Effekte für das Projekt in der Qualität, die ihm vorschwebte, und der gegebenen Zeit zu verwirklichen. Da es praktisch weltweit kein modernes VFX-Studio gab, um seine sehr spezifischen Vorgaben umzusetzen, gründete er „Industry Light & Magic“ 1975 - zunächst einzig zu dem Zweck, „Krieg der Sterne“ zu verwirklichen.

Visual Effects Pionier John Dykstra, wurde von Lucas ausgewählt, diese Mammutleistung zu stemmen und das VFX-Team der ersten Stunde für Lucas zusammenzustellen. Quasi aus dem Nichts baute Dykstra ein VFX Studio auf, mit einem beeindruckenden Zusammenhalt und Teamgeist, mit naiv-furchtloser Anarchie, mit technischem Erfindungsreichtum. Inspiriert von Klassikern wie „King Kong“ und Ray Harryhausens „Jason und die Argonauten“, scharte er eine Gruppe gleichgesinnter Filmenthusiasten um sich und entwickelte die Grundlagen der modernen Trickeffekte. Learning by Doing ist angesagt: Schreiner, Designer, Puppenbauer, Modellbauer füllen die Reihen der ILM. Merke:  Entsprechende Filmschulen mit VFX Ausbildungen gibt es nicht zu dieser Zeit. Und es sind kleine Dinge wie das Wissen um Kodak Eastman 910, den ersten Sekundenkleber, die Karrieren entscheiden.

Ein bitterer Ausstieg und neue Karrieren

Doch Dykstras Erfindungsfreude stand nur selten im Einklang mit den Anforderungen des Filmbudgets und den rigiden Zeitvorgaben der Produzenten, eine Eigenheit, die Lucas mehrfach buchstäblich an den Rand eines Herzinfarktes führte. Trotz des letztlichen Megaerfolgs und dem „Oscar“ für die besten visuellen Effekte, gehört das anschließende Zerwürfnis zwischen Lucas und Dykstra und seinem unfreiwilligen Ausscheidens aus ILM zu den bittersten Momenten der Dokumentation, die dabei alle Beteiligten gleichberechtigt zu Wort kommen lässt.

Die Arbeit an den kommenden Projekten übernehmen nun die von Dykstra angeheuerten VFX Legenden Dennis Muren, Richard Edlund, Phil Tibbett und Ken Ralston, deren individuellen Werdegängen vor ILM Kasdan lustvoll nachspürt. Da ist schließlich auch die zweite Generation mit Joe Johnston, der unter der Ägide von George Lucas vom Storyboard Artists zum Filmregisseur aufsteigt. John Knoll, der mit jugendlicher Begeisterung an der digitalen Revolution des Filmemachens mitwirkt und mit seinem Bruder Thomas quasi nebenher Photoshop erfindet. Steve „Spaz“ Williams, der mit seinem computergenerierten Tyrannosaurus-Rex- Filmtest das Filmemachen weltweit für immer verändern wird und damit den endgültigen Sprung vom analogen zum digitalen Filmemachen markiert. Wunderbare Anekdoten wie Ken Ralstons Tennischuh, den dieser furchtlos im Hintergrund als Rebellenraumschiff bei „Das Imperium schlägt zurück“ in Szene setzt, sorgen für humoristische Momente, die den Rückschlägen und herben Enttäuschungen als Ausgleich entgegengesetzt werden.

Zahlreiche Filmemacher wie James Cameron, Ron Howard, J. J. Abrams kommentieren aus ihrer Perspektive ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit ILM. Und endlich schlägt Jon Favreau den Bogen in die Gegenwart zu den von ILM mitentwickelten Motion Capture Volumes für „The Mandalorian“, die George Lucas Vision von Realtime Effekten, Echtzeiteffekten endgültig verwirklichen. Das alles ist grandios mit bislang unveröffentlichten Dokumentaraufnahmen in Szene gesetzt, lässt den Zuschauer mitfiebern bei der Jagd nach visuellen Lösungen unter wahnwitzigem Zeitdruck und mit eingeschränkten Budgets. Lawrence Kasdans erste Idee war eine Darstellung der kompletten VFX Geschichte, die Verkürzung auf die Arbeit von ILM zwischen 1975 und 1993 erweist sich dabei als Vor- und Nachteil. Trotz sechstündiger Aufbereitung wird einiges übergangen, kommt manches zu kurz innerhalb und vor allem außerhalb des ILM Universums. Man bedenke zumindest, dass ILM auch für die Trickeffekte bei „Howard the Duck“ („Howard, ein tierischer Held“, 1986) verantwortlich zeichnete. Und dass George Lucas die hauseigene Computergrafik-Abteilung 1986 an Steve Jobs verkaufte. Unter dessen Führung mauserte sich diese unter dem neuen Namen PIXAR letztlich zum führenden Animationsstudio Hollywoods. Doch Kasdans Auswahl der wesentlichen Erfolge und Meilensteine von Lucas und ILM unter Zuhilfenahme einer Armee von Material sichtenden Dokumentarfilmemachern und drei Filmeditoren dürfte wohl alle Zuschauer für diesen wirklich magischen Teil des Filmemachens begeistern. Und nicht zuletzt wird man so Zeuge bei der Entstehung von Kinomomenten, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der weltweiten Kinofans eingebrannt haben, vom Millenium Falken bis zu Baby Yoda. Und jeder frühere Zwiespalt wird weggewischt, wenn man miterleben darf, wie Sekundenkleber einen nachhaltigen Effekt auf die Filmgeschichte hat oder ein Tennisschuh die Rebellenallianz bereichert.

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