101 Nacht - Die Träume des M. Cinéma

Komödie | Frankreich/Großbritannien 1995 | 125 Minuten

Regie: Agnès Varda

Eine Hommage auf das 100jährige Kino, im Mittelpunkt ein exzentrischer alter Herr, der einer jungen Frau sein Leben erzählt, um seine nachlassende Erinnerung wachzuhalten. Zahllose Filmausschnitte, Gastauftritte von Filmstars sowie verbale, musikalische und visuelle Anspielungen auf die Filmgeschichte beschwören das Kino als Ort der Verwandlung, Verzauberung sowie der Überlistung des Realen. Ein Film wie eine Wunderkerze, der durch den Zitaten- und Anspielungsberg bei allem Reiz die Fantasie des Betrachters zu ersticken droht. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LES CENT ET UNE NUITS
Produktionsland
Frankreich/Großbritannien
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Ciné-Tamaris/Recorded Pictures
Regie
Agnès Varda
Buch
Agnès Varda
Kamera
Eric Gautier
Musik
Gérard Presgurvic
Schnitt
Hugues Darmois
Darsteller
Michel Piccoli (Simon Cinéma) · Julie Gayet (Camille) · Marcello Mastroianni (ein Freund aus Italien) · Mathieu Demy (Mica) · Henri Garcin (Firmin)
Länge
125 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
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Diskussion
Le cinéma, der Kinofilm, ist ein exzentrischer alter Herr, der in einem Schloß voller Andenken aus seiner eigenen Geschichte lebt. Doch sein Gedächtnis läßt langsam nach, er liegt im Bett und kränkelt. Um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, engagiert er die junge Camille und erzählt ihr im Rollentausch mit Scheherezade sein Leben: für 100 Dollar pro Tag 100 Jahre, das sind 101 Nacht voller Assoziationen und Accessoires, sortiert allein nach dem Kriterium seines Vergnügens.

Zahllose Filmausschnitte, Gastauftritte von Stars wie Belmondo, Delon, de Niro und De-neuve und jede Menge verbaler, musikalischer und visueller Anspielungen auf die Filmgeschichte hat Agnès Varda in ihrer Feier des Kinos untergebracht. Da steckt sich Piccoli anläßlich des Besuches von Jeanne Moreau und Hanna Schygulla noch einmal eine Rose in den Mund wie in Godards "Passion", da tritt ein junger Mann dem Gärtner auf den Schlauch wie im "L'arroseur arrosé" der Lumières, die in Glühbirnen eingefaßten Anzügen das Schloß auch leibhaftig bevölkern, da bittet Sandrine Bonnaire als Obdachlose um ein warmes Mahl und reitet als "Jeanne la Pucelle" davon, da wird Bunuel als Kuh beschworen und Godard in Breite zitiert - allein die Aufzählung all der Zitate und Verweise würde Seiten füllen.

Doch weniger wäre mehr gewesen, auch weil Varda die anekdotische Erinnerungsorgie ihres Helden Kino und seiner ewig weiblichen Inspiration mit einer Parallelgeschichte noch zusätzlich überfrachtet hat. Camille ist nämlich nicht nur die kundige Stichwortgeberin für Monsieur Cinéma, sondern auch die Freundin von Mica, dessen Name sich mit Bedacht in "cinéma" versteckt. Mica ist der hoffnungsvolle Nachwuchsregisseur, der zwar nur Fanny Ardant den Schal hinterhertragen darf, mit seinen Freunden dafür aber um so heftiger vom eigenen Kriminalfilm träumt. Da das Geld natürlich fehlt, der Alte aber seinen Enkel vermißt, schieben ihm die jungen Leute einen der ihren als Erben unter. Doch Monsieur Cinéma, auch wenn er den "Enkel" mag, vermacht sein ganzes Vermögen einer italienischen Liz-Taylor-Imitation. Zum Trost spielt er in Micas Krimi mit.

In vier Episoden, die jeweils von klappeschlagenden Kindern ein- und ausgeleitet werden, verschachtelt Varda ihre Erzählstränge zunehmend diffuser. Die letzte Episode ist kaum mehr als ein redundantes Sammelsurium, das zwar das Kino als Ort der Verwandlung und Verzauberung, als Ort der Überlistung des Realen beschwört, ihn selbst aber nicht mehr einzunehmen vermag. Belmondo im Gespann mit Gina Lollobrigida stößt dem mittlerweile erinnerungsausgelaugten Meister im Torrero-Kostüm Spieße ins Gehirn, damit er die geliebten Frauen gleich doppelt sehen kann, woraufhin er mit Camille zwischen Dokumentaraufnahmen von Cannes ebenfalls die berühmten Stufen hinaufschreitet, bevor er sich in Hollywood, wo noch einmal unzählige Schauspielernamen aufgezählt werden, über den Sunset Boulevard schieben läßt, bevor er in Micas Krimi eine Rolle übernimmt und ganz am Ende für die, die diese Hommage noch immer nicht verstanden haben, in Paris ein Denkmal für das Kino eingeweiht wird.

Man versteht wohl, was Varda mit ihrem Film hat sagen wollen, allein es fehlte ihr das Geschick. In ihrer Anhäufung der schönsten, fantasievollsten Momente der Filmgeschichte hat sie nämlich diejenigen vergessen, in deren Herzen und Hirnen sich das "Wunder" des Films doch erst vollzieht, die Zuschauer, deren eigene Fantasie unter den von ihr angehäuften Zitaten- und Anspielungsbergen eher erstickt als angeregt wird. Ihr Film brennt ab wie eine Wunderkerze, doch am Ende taugt er zu kaum mehr als Gegenstand einer Quizsendung des Femsehens zu werden: welche Filme, Musiken, Schauspieler waren in Vardas "101 Nacht" versteckt? Dalli dalli!
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