© Alamode (aus „Unser täglich Brot“, eine Szene zur Spargel-Ernte)

Leben, Filmen, Hände, Brot

Ein globales Genre. Zu Spiel- und Dokumentarfilmen rund um die Arbeit von Bauern und der Agrarindustrie

Veröffentlicht am
08. März 2022
Diskussion

Unentbehrlich, aber umkämpft wie nie ist die Landwirtschaft heute – als Wirtschaftsfaktor, als Umweltproblem und Mitverursacher von Klimawandel und Artensterben, als Frage des Lebensstils. Das ist Anlass, die Filmbilder der Landwirtschaft ins Auge zu fassen und Themen, Ideologien und Filmsprache des globalen Genres „Landwirtschaftsfilm“ zu analysieren.


Erschöpft setzt sich der Besitzer des Hofes während der Heuernte auf den Ackerboden. Er kann nicht mehr, ist blass und müde. Die Knie zittern, es ist heiß. Seine Söhne stapeln das trockene Heu in schwindelerregende Höhen auf einen Wagen. Zwei Kühe stehen in der Deichsel des Ochsenkarrens eingespannt in der prallen Sonne, Fliegen tanzen auf ihrem Gesicht. Nur kurz zieht ein Schatten über das weite Feld. Die Tiere ertragen, dass sie das Heu auf dem alten Karren über die von der Hitze aufgebrochene Erde ziehen müssen. Der Besitzer, ein alter Mann mit Prinzipien, die ihm das Leben nicht leichter machen, verliert seine Funktion. Noch einmal lässt er einige Maiskörner durch seine von der Arbeit zerfressene Hand rinnen. Dann verlässt er und mit ihm ein bestimmtes Modell der Landwirtschaft die Erde. So oder so ähnlich lassen sich bestimmte Sequenzen in Georges Rouquiers „Farrebique beschreiben.

„Farrebique“ (©Les documents cinématographiques)
„Farrebique“ (© Les documents cinématographiques)

Der Film aus dem Jahr 1946, der vor wenigen Jahren in Frankreich zur Wiederaufführung in den Kinos gelangte, zeigt ein Jahr im Leben einer Bauernfamilie. Ein Bild eines vergangenen Lebens, aber er zeigt es mit einer so außergewöhnlichen Offenheit und Präsenz, dass die beschriebenen Konflikte die Zeit transzendieren.


Von Ungleichheiten und Unvereinbarkeiten

Laut dem Weltagrarbericht des Jahres 2019 ist die Landwirtschaft für 31 Prozent der globalen Treibhausgasemission verantwortlich. In Zeiten einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber Klimabelastung bedeuten solche Zahlen eine notwendige, aber belastende Drucksituation für einen Wirtschaftssektor, der zu den großen Verlierern der letzten 125 Jahre zu zählen ist. Es überrascht nicht, dass sich Landwirtschaft im Kino heute vor allem um Nachhaltigkeit dreht.

   

          Das könnte Sie auch interessieren:


Vor 125 Jahren entstand das Kino. Wie keine andere Kunst wurde ein Teil der Filmgeschichte so zur Chronik des landwirtschaftlichen Niedergangs, des Überlebenskampfs wie des Widerstands. Zugleich entzünden sich in Filmen über Landwirtschaft entscheidende politische Konflikte, die viel über die Ungleichheiten und Unvereinbarkeiten der heutigen Welt erzählen. Denn neben einem philosophischen Überbau, der vom Menschen und der Natur handelt, wird in diesen Filmen oft gleichzeitig ein konservatives, bisweilen nationalistisches Weltbild und ein humanistischer, bisweilen marxistischer Blick auf den Arbeiter und seine Unterdrückung geworfen.

Aktueller Dokumentarfilm rund ums Thema Nachhaltigkeit: „Anders essen“ (©Langbein & Partner)
Aktueller Dokumentarfilm rund ums Thema Nachhaltigkeit: „Anders essen“ (© Langbein & Partner)

Der Landwirtschaftsfilm als globales Genre

Trotz offensichtlicher und bedeutender regionaler Unterschiede hat sich eine Sprache entwickelt, die den Landwirtschaftsfilm gewissermaßen als globales Genre etabliert. Denn egal, ob afrikanische, sowjetische, chinesische Filme, unabhängig produziert, Propagandamaterial oder Hollywoodkino: Man findet bestimmte Narrationen, Figuren oder Bilder immer wieder.

Eine Art Urfilm des Landwirtschaftsfilms ist „A Corner in Wheat“ von D.W. Griffith. Darin wird unter anderem sozialkritisch auf die wirtschaftlich-politische Kette zwischen Arbeit und Verwertung geblickt. Diese Kette liefert ein wichtiges dramaturgisches Element in der Auseinandersetzung mit Landwirtschaft im Kino. Tendenziell stellen sich die Filme dabei auf die Seite der Arbeiter. Die Dauer einer Arbeit wird wichtig. Anstrengung wird sichtbar. Nicht zuletzt, weil die Handlung betont und ihrer Wirkung weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, hängt das Landwirtschaftskino auch eng an einem Realismusbegriff, der später mit Filmen wie „Farrebique, Jean Renoirs „Der Mann aus dem Süden oder „Bitterer Reis“ von Giuseppe De Santis deutlich ausgebaut wird. Es geht auch darum, etwas zu zeigen, weil es ist, und nicht darum, damit es ist.

Ein Film über einen von Landwirtschaft geprägten Ort: „Monrovia, Indiana“ von Frederick Wiseman (©Civic)
Ein Film über einen von Landwirtschaft geprägten Ort: „Monrovia, Indiana“ von Frederick Wiseman (© Civic)

Wie der Mensch dem Boden seinen Ertrag abringt

Wenn Griffith die Arbeit am Land zeigt, entscheidet er sich für ein Bild des Feldes. Die Tiefe des Bildes, die geometrischen Formen und die haptischen Qualitäten des vom Pflug bearbeiteten Ackers verleihen dieser Arbeit eine ästhetische Dimension. Nirgends zeigt sich die Nutzbarmachung in eindrücklicheren Bildern als in den Totalen eines Ackers. Im Vordergrund die kleinen Menschen, die ihre Samen aussähen oder mit Kühen oder Eseln und Pflügen Meter für Meter vorwärtsschreiten, im Hintergrund die weite Natur, mächtig und still.

Nirgends zeigt sich die Qual dieser Arbeit stärker als in den Nahaufnahmen auf Füße, die im Matsch versinken, den verschwitzten Gesichtern zwischen dem Getreide und den ausgemergelten Körpern, die in der Sonne stehen. Landwirtschaft war selbstverständlich schon vor dem Kino ein beliebtes Thema der Kunst. Schon Hesiods Lehrgedicht „Werke und Tage“ enthält eine lange Passage zu einem Jahr der Bauern. Vergils „Georgica“ erzählt auch davon, wie Boden und Menschen gleichermaßen um Ertrag kämpfen. Maler wie Van Gogh oder Courbet sind auch für ihre Darstellungen von Landarbeitern berühmt.

Über die Härte der Landarbeit: „Herbstmilch“ (©Studiocanal)
Über die Härte der Landarbeit: „Herbstmilch“ (© Studiocanal)

Von der Technik-Glorifizierung zur Nachhaltigkeits-Welle

Die erste Hochphase erlebte der Landwirtschaftsfilm als Propaganda und Instruktionsmaterial in den 1920er- und 1930er-Jahren. Am berühmtesten sind Beispiele aus der Sowjetunion. Mit Sergej Eisensteins „Die Generallinie“ oder Alexander Dowschenkos „Erde“ haben es mindestens zwei dieser Filme auch bezüglich ihrer Form in den filmgeschichtlichen Kanon geschafft. Sehr grob verfolgen sie die Idee, dass der Kommunismus und die Kooperative den vom Kapitalismus provozierten Widerspruch zwischen Stadt und Land aufheben können. In ihnen offenbart sich ein weiterer entscheidender Konflikt für sämtliche Landwirtschaftsfilme: jener der Technisierung. Während ihn Eisenstein noch als heilbringende Rettung verstand, gibt es vor allem im modernen Kino kritischere Bilder. Bereits im Tauwetter-Kino wandelt sich auch in der Sowjetunion der Bezug zur Technisierung. Ein Film wie „Unser täglich Brot“ von Nikolaus Geyrhalter aus dem Jahr 2005 ist bei aller offen angelegten Ambivalenz ein typisches Beispiel für die Haltung zum Thema im westlichen Kino unserer Zeit.

„Unser täglich Brot“ (©Alamode)
„Unser täglich Brot“ (© Alamode)

Die Utopien haben sich längst verkehrt. Heute schwappt eine Nachhaltigkeitswelle über die deutschen Leinwände. Filme mit einem Bio-Siegel wollen zu einer besseren Welt beitragen. Oder wollen sie nur möglichst seicht das Gewissen beruhigen? Sympathische Kleinbauern, Selbsterzeuger und vom Aussterben bedrohte Berghirten werden alle gleich betrachtet. Weder werden sie als Individuen verstanden, noch gibt es ein wirkliches Interesse an ihrer Arbeit. Damit steht das Landwirtschaftskino heute gewissermaßen im direkten Dialog mit dem Propagandakino zwischen den Weltkriegen.


Mythen von Mutterboden und Vaterland

Egal ob in Frankreich, Deutschland, den USA oder Großbritannien: die mächtigsten Nationen jener Zeit etablierten ein Landwirtschaftskino mit zweischneidigen Motivationen. Zum einen ging es tatsächlich um die Bildung der Bauern. Filme von Jean Benoit-Lévy wurden direkt vom Landwirtschaftsminister in Auftrag gegeben, und das U.S. Department of Agriculture hatte bereits 1921 über 130 Instruktionsfilme im eigenen Katalog. Eisensteins „Die Generallinie“ wurde in Frankreich nicht gezeigt, weil man der Meinung war, dass man schon lange genügend Traktoren habe und die Bauern daraus nichts gewinnen würden. Auf der anderen Seite wurden diese Filme aber auch zur Stärkung eines Nationalgefühls eingesetzt. Der hochaufgeladene Begriff der „Erde“ spielt dabei eine wichtige Rolle. Nicht allein in nationalsozialistischen Arbeiten wie „Blut und Boden - Grundlagen zum neuen Reichging es nicht nur darum, wie die Erde geformt werden kann, sondern wenig subtil auch um eine Formung des Menschen, der sie bestellt.

„Die Generallinie“ (©absolutMEDIEN)
„Die Generallinie“ (©absolutMEDIEN)

Lassen sich in dieser Zeit die politischen Richtungen noch recht leicht ablesen, entfaltet das Genre nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigentümliche und entscheidende Gleichzeitigkeit zwischen Links und Rechts. Derzeit wird in den Medien vermehrt über die sogenannte „Hufeisentheorie“ diskutiert. Die Suche nach einer politischen Mitte wird hinterfragt. In den Landwirtschaftsfilmen hat es diese nie gegeben. Statt eines Hufeisens, das als tatsächliches Objekt nicht unwichtig war für die Landwirtschaft, zeigt das Genre eine Nähe zu den Extremen. In den Filmen erscheinen konservative Lebenswürfe plötzlich utopisch. Man spürt ein revolutionäres Potenzial in der Besinnung auf familiäre Werte. Eigentlich utopisches Denken dagegen, etwa wenn es um Kollektivierung geht, bewirkt unmenschliche Effekte, Armut und Leid. Die Differenzierung zwischen politischen Seiten wird aufgehoben. Landwirtschaft ist ambivalent. Im Zentrum steht der Mensch und seine Rolle in der Gesellschaft. In diesen Filmen lernt man zugleich, kritischer mit Ideen umzugehen, auch offener zu werden, zuzuhören.


Die Suche nach dem anderen, womöglich besseren Leben

Dennoch stellte sich schon zur Zeit des Propaganda- und Instruktionskinos die Frage, für wen diese Filme eigentlich gemacht wurden. In Frankreich gab es dazu viele Umfragen. Daraus ging hervor, dass Filme, die Praktiken zeigten, die die Bauern schon kannten, äußerst kritisch beäugt wurden. Man achtete auf jeden Fehler in der filmischen Repräsentation. Filme dagegen, die den Bauern neue Praktiken näherbringen wollten, wurden schlecht verstanden und als langweilig und unnötig empfunden. Am meisten Erfolg hatten exotische Filme, etwa über die Landwirtschaft in Indochina.

Heute stellt sich diese Frage noch einmal anders. Seit den 1970er-Jahren wandelte sich das Interesse der Filmemacher hin zu ethnologischen Bestrebungen. Das Andere und das Fremde spielen eine größere Rolle. Die Filme handeln weniger von einem potenziellen als von einem vergangenen Leben. Der große Ethnologe des Lebens, das es einst gab, oder des Lebens, das sein sollte, ist Robert Flaherty. Mit „Das Land (1939-42) drehte er auch einen Landwirtschaftsfilm. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden, ist dieser zwar auch Teil der nationalen Propagandamaschinerie, aber Flaherty erzählt gleichermaßen vom Verlust dessen, was er als nachhaltige Landwirtschaft und gute Arbeitsbedingungen versteht. In diesem Bruch wird nicht nur ein Realismus greifbar, sondern auch eine Hinwendung zu einer anderen, womöglich besseren Welt.


Entschleunigung und Naturnähe

Entschleunigung spielt in den Landwirtschaftsfilmen eine große Rolle: das langsame Leben weitab vom Lärm des Internets und der Großstädte als sanfte Idylle mit einem anderen Zeitgefühl. Es gibt Zeit für Bäume im Wind oder die Sonne, die hinter den Wolken hervorschießt. Das Tempo, in dem „Farrebique“ von der Arbeit erzählt, lässt diese trotz immenser Anstrengung aus heutiger Sicht beinahe friedlich erscheinen. Ein Film wie „Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind“ von Fredi M. Murer wirkt geradezu exotisch. Allgemein lässt sich feststellen, dass die Dramaturgie lieber der Natur als konkreten Ereignissen folgt. Das heißt, Zeit arbeitet in Zyklen. Winter oder Regen werden zu Plot Points, viele dramaturgische Ereignisse sind ein Deus Ex Machina.

„Der Holzschuhbaum“ (©Filmverlag der Autoren)
„Der Holzschuhbaum“ (© Filmverlag der Autoren)

Dabei kann man diese Arbeit mit dem Tempo der Natur zugleich ganz konkret und sinnlich wie auch metaphorisch verstehen. So verkündet der Regen im wundervollen „Der Holzschuhbaum“ von Ermanno Olmi ebenso Unheil, wie er Handlungen auslöst: Die Schafe müssen in den Stall, die gepflanzten Tomaten leiden. Neben dieser von der Natur diktierten Zeitwahrnehmung spielt im Landwirtschaftsfilm auch die Alltäglichkeit eine größere Rolle als in anderen Genres. Essen, trinken, waschen, melken, beten, schlafen. Die existenziellen Handlungen stehen im Vordergrund. Dazu interessiert sich die Kamera besonders für die Hand und Handgriffe. Ein Film wie „Bessho Tea Factory“ von Hori Teiichi zelebriert das Pflücken der Teeblätter auf den Feldern in einer Rhythmik, die an Busby Berkeley erinnert. Handgriffe fungieren als musikalisches Element. Man denkt nicht umsonst an die Gesänge von Sklaven, die auf Feldern schuften müssen.


Helden der Arbeit

Von Rithy Panh bis Ousmane Sembene kennen diese Geschichten keine geografischen Grenzen. Das wiederkehrende Bild des durch die Finger rinnenden Getreides ist dafür ein weiteres Beispiel. Die Figuren und Menschen erinnern an die Helden der Western. Sie reden wenig, definieren sich über ihre Arbeit. Das Genre ist oft mehr an Männlichkeit als an Weiblichkeit interessiert. Aber eigentlich steht gar nicht so sehr das Individuum im Zentrum der Handlungen. Vielmehr sind es Kollektive: Familien, Betriebe, Liebespaare. Jedem Menschen wird eine Rolle zugewiesen. Das System fällt in sich zusammen, wenn eine Person geht oder stirbt. Oftmals bleibt wenig Zeit zum Lieben und Leben. In der Gemeinschaft entsteht ein einzelner Körper, der überleben muss.

„Das Reisfeld“ von Rithy Panh (©Trigon)
„Das Reisfeld“ von Rithy Panh (© Trigon)

Ab den 1960er-Jahren praktizierten die Ogawa Productions unter Leitung von Shinshuke Ogawa den Versuch einer kollektiven Engführung von Kino und Landwirtschaft. Nachdem sich das Kollektiv zunächst innerhalb der Studentenproteste engagierte, zog man sich in den 1970er-Jahren mehr und mehr aufs Land zurück. Dort arbeiteten die Mitglieder der Gruppe als Reisbauern. Gleichzeitig entstanden Filme. Die Resultate sind faszinierende Dokumente des täglichen Lebens, eine Art von Scientific Research, gepaart mit mythologischer Fiktion.

Dass Filmemacher als Landwirte arbeiten, ist gar nicht so selten. Ein zeitgenössisches Beispiel wäre etwa der Franzose Pierre Creton. Auch in seinem Kino vereint sich die Arbeit mit dem Land und die Arbeit mit dem Kino. Margaret Tait nannte eines ihrer filmischen Porträts „Land Makar“. Darin filmte sie eine bewundernswerte „Crofterin“ auf den Orkney-Inseln. Das schottische Makar bezeichnet dabei zugleich die Arbeit mit dem Land als auch „Poet“.


Sexappeal auf der Scholle

Die Rolle von Frauen in diesen Filmen kennt zwei Extreme. Die eine „verdankt“ das Kino dem Produzenten Dino De Laurentiis, der ein erotisches Element in Giuseppe De Santis’ „Bitterer Reis verlangte. Der Erfolg des Films bestätigte seine Vermutung des erotischen Potenzials von leichter bekleideten Frauen, die in den Feldern arbeiten. Silvana Mangano, eine ehemalige „Miss Italia“-Bewerberin und spätere Ehefrau des Produzenten, brachte den Sex auf die Felder. Zumindest im Kino, denn sexuelle Übergriffe auf arbeitende Frauen waren in dieser Zeit keine Seltenheit.

„Bitterer Reis“ (©Filmjuwelen)
„Bitterer Reis“ (© Filmjuwelen)

Tatsächlich bieten idealisierte und vor allem homoerotische Betrachtungen der Arbeit auf und mit dem Land einige Projektionsflächen. Auch bei Pierre Creton oder Alain Guiraudie ist das schwule Begehren der Bauern entscheidend. Dort trifft ein großer Liberalismus auf eine konservative Welt. Man darf auch hier an die Hufeisentheorie denken. Doch wenn man an die sexuellen Konnotationen der berühmten Milchzentrifugen-Sequenz in Eisensteins „Die Generallinie“ denkt, versteht man, dass insbesondere in einer industrialisierten Welt die Arbeit mit der Natur, mit den Händen und Körpern, ein gewisses sinnliches Potenzial in sich trägt. Für wen ist dabei eine wichtige Frage, und man denkt nicht umsonst an die insbesondere vom Fernsehen häufig bemühte Romantik in der Scheune, wenn das Heu plötzlich zum Liebesnest wird.


Anti-Moderne

Die andere Form von Weiblichkeit ist eine des Widerstands. Nicht nur bei Margaret Tait, sondern im modernen Kino auch bei Alice Rohrwacher sind es oftmals die Frauen, die an das bessere Leben glauben und in der dafür notwendigen Arbeit deutlich resistenter und kreativer agieren. Dass die Rolle der Frau oftmals auf Arbeiten im Haus und das Muttersein reduziert wird, hat in diesem Fall weniger mit den Eigenheiten der Filmgeschichte als mit den Realitäten in landwirtschaftlichen Existenzen zu tun. Auch in diesen strengen Rollenverteilungen erzählt sich die Gleichzeitigkeit von Rechts und Links. Man sieht Arbeiterporträts, die eine regressive Idylle suchen. Wie vielleicht nur in den mystischen Schriften von Simone Weil oder in „Das 1. Evangelium – Matthäus“ von Pier Paolo Pasolini wird Widerstand mit Glauben enggeführt. Es sind Filme gegen die moderne Welt.

„Glücklich wie Lazzaro“ (©Piffl Medien)
„Glücklich wie Lazzaro“ (© Piffl Medien)

In Alice Rohrwachers jüngstem Film „Glücklich wie Lazzaro bemerkt man überdies etwas, was das Genre seit Jahren prägt: das Thema des Verlusts. Viele Filme erzählen anachronistisch oder von Anachronismen. Die letzten Bauern besiedeln seit Jahrzehnten die Leinwände. Verdrängt von großen Industrien, unterdrückt von der Politik, haben sie keine Stimme mehr. Die mit der Landwirtschaft verbundenen Ideale wandeln sich spätestens mit dem Tauwetter in bittere Realitäten. Filme wie „Alle guten Landsleute“ von Vojtech Jasný oder „Morometii“ von Stere Gulea erzählen von Desillusionierung und Ungerechtigkeit. Wie Schiffskapitäne, die auf einen unausweichlichen Felsen zusteuern, stehen die Bauern in den Feldern und wissen nicht mehr, wohin. Sie kämpfen um ihre Würde und halten sich an das, was sie kennen: Arbeit, Glauben, Arbeit. Die Nahaufnahmen der oft zerfurchten, abgearbeiteten und von der Sonne verbrannten Gesichter erzählen mehr als Worte.

„Profils Paysans: La vie moderne“ © arte France
„Profils Paysans: La vie moderne“ (© arte France)

Von der Würde des Menschen und seiner Arbeit

Der Landwirtschaftsfilm war immer auch eine Art Porträtkunst. Der Fotograf und Filmemacher Raymond Depardon zeigt das eindrücklich in seinen Filmen über Bauern. Oft sitzt er ihnen gegenüber am Tisch und studiert die Gesichter. In dieser einfachen Annäherung an die Menschen wird noch einmal der humanistische Impuls sichtbar, der bei allen Idealen, politischen Überzeugungen und metaphorischen Erzählungen das Wesen dieser Filme ausmacht. Egal, ob die Maschinen helfen oder Leid bringen, egal, ob man vom Stolz einer Nation oder der Arbeiterbewegung erzählt, egal, welche Hand in die Natur greift: sie gehört immer einem Menschen. Das mag in 125 Jahren Kinogeschichte keine große Erkenntnis sein, aber einen Menschen und seine Arbeit mit Demut und Zuneigung zu filmen, ist bis heute eine Seltenheit.

Kommentar verfassen

Kommentieren